Die Weisheit des friedvollen Kriegers
gewandt«, sagte er, »verglichen mit dem Durchschnitt der Menschen. Trotzdem ist dein Körper voller Blockierungen und Knoten. Du hast zu viel Spannung in deinen Muskeln, und verspannte Muskeln verbrauchen mehr Energie. Du musst also vor allem lernen, deine aufgestauten inneren Spannungen freizusetzen.
(…)
So, jetzt pass auf, was ich mache, und mach’s mir genau nach.« Und er fing an, seinen linken Fuß mit einem wohlriechenden Öl einzureiben, sorgfältig massierend, den Rist, den Spann, die Seiten und dann die Sohle und zwischen den Zehen – den ganzen Fuß drückend, quetschend, pressend, auseinanderziehend. »Du musst die Knochen massieren, nicht nur das Fleisch und die Muskeln. Grab deine Finger tiefer hinein«, sagte er. So brauchten wir eine halbe Stunde, bis wir mit dem linken Fuß fertig waren. Dann kam der rechte dran. Und dann alle anderen Körperteile, einer nach dem anderen. Ich lernte Tatsachen über meine Muskeln, die ich – ein Leistungssportler! – noch nicht gewusst hatte. Ich spürte die Sehnen, die Formen der Knochen und die genial konstruierten Gelenke.
Sorgen, Beklemmungen, Anhaftungen, Widerstände und Ängste führen mit der Zeit zu körperlichen Spannungen. In unserem gegenwärtigen Zustand von Anspannung oder Lockerheit spiegeln sich also viele verschiedene Dinge aus der Vergangenheit wider. Denn die Vergangenheit wird nicht nur im Gedächtnis gespeichert, sondern auch in den Knochen, Muskeln und im Bindegewebe. Viele Lehrsysteme zielen darauf ab, alte Traumata zu bereinigen und die Psyche von emotionalen
Belastungen zu befreien. Noch bedeutend mehr Arbeit aber erfordert es, den Körper von der Vergangenheit zu befreien.
Wir können unsere Psyche wie eine archäologische Grabungsstelle behandeln und den abgelagerten Schutt Schicht für Schicht abtragen. So faszinierend das auch sein mag: Unter jeder Schicht findet sich doch gleich wieder die nächste. Wenn wir aber direkt auf physischer Ebene arbeiten, indem wir chronische Verspannungen abbauen, verjüngen wir den Körper, kehren in einen kindlicheren Zustand zurück und verhelfen uns selbst zu wirksameren Bewegungen, mehr Energie und schnellerer Heilung. Statt also das Glück im Kopf zu suchen, können wir auch, ganz praktisch, den Körper glücklicher und friedvoller machen.
Die Selbstmassage, wie Socrates sie mich lehrte, ist eine Möglichkeit, den Müll der Vergangenheit abzutransportieren. Indem ich die Verantwortung übernahm, an und mit mir selbst zu arbeiten, lernte ich mich buchstäblich bis auf die Knochen kennen. Aber das ist nur eine Methode, seinen Körper kennenzulernen und die Spannungen und Unausgewogenheiten abzubauen, die sich im Laufe der Zeit fast zwangsläufig einstellen. Auf dem Pfad des friedvollen Kriegers gibt es noch viele andere Möglichkeiten, den Körper mithilfe bewusster Bewegungsarbeit (wie etwa Yoga, Tai-Chi oder Qigong) von seiner Vergangenheit zu befreien, die Gegenwart zu genießen und die Zukunft zu bereichern.
Satori und der Pfad
»Jetzt will ich dir etwas über Satori erzählen, einen Begriff aus dem Zen. Satori ist der Seelenzustand des Kriegers. Man tritt ein ins Satori, sobald man frei von Gedanken und nur noch reine Aufmerksamkeit ist. Der Körper ist in Aktion, und doch entspannt und sensibel.«
»Dies Gefühl kenne ich, Socrates«, warf ich eifrig ein. »Besonders bei spannenden Wettkämpfen, wenn ich etwas riskiere. Dann bin ich so konzentriert, dass ich nicht mal den Beifall der Zuschauer höre.«
»Ja, genau. Das ist das Satori-Erlebnis«, bestätigte er. »Und wenn du mich richtig verstehst, hast du nicht nur den wahren Sinn des Sports begriffen, sondern auch den wahren Sinn allen aktiven und schöpferischen Tuns, sei es Malen, Musik machen, Handwerk oder etwas anderes – alles sind Pforten zum Satori. (…) Und aus diesem Grund ist auch das Turnen eine Kriegerkunst. Es ist ein Mittel, um Geist, Gefühl und Körper zu trainieren. Es ist eine Pforte zum Satori. Als letzten Schritt aber muss der Krieger die dabei erreichte Klarheit auf sein alltägliches Leben übertragen. Dann kann Satori zur Wirklichkeit werden für dich – zum wahren Schlüssel der Pforte.«
Der Begriff Satori beschreibt einen Zustand, für den es im Englischen keine einzelne Entsprechung gibt. Er umfasst all jene Momente, in denen Körper, Geist so integriert und aufeinander abgestimmt sind, dass daraus etwas entsteht, das größer ist als die Summe der einzelnen Teile.
Schauspieler,
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