Die Weisheit des friedvollen Kriegers
Dingen Namen geben und glauben, sie dann zu kennen. (…) Jetzt hast du Namen für alle Dinge gelernt und kannst sie in Kategorien stecken: Dies ist gut, jenes ist schlecht, dies ist ein Stuhl, das ein Tisch, ein Auto, ein Haus, eine Blume … Hund, Katze, Frau, Mann, Sonnenuntergang, Meer, Stern und so weiter.«
Bevor ich Socrates kennenlernte, war mir das Jesus-Wort, wir müssten wie die Kindlein werden, um ins
Himmelreich zu kommen, nie recht begreiflich. Heute verstehen die meisten von uns, dass wir das »Himmelreich« in uns tragen und dass sich dieses Bibelzitat auf die Klarheit der Wahrnehmungsfähigkeit bezieht, die Kinder besitzen, solange sie die Verkrustungen unserer komplexen Erwachsenenfilter noch nicht übernommen haben. Kleine Kinder verfügen über Qualitäten, die denen eines Zen-Meisters nicht unähnlich sind. Mit einem entscheidenden Unterschied: Der Zen-Meister hat sein Ego transzendiert beziehungsweise durchschaut, bei Kindern ist es noch gänzlich unentwickelt.
Mein Besuch im Garten der klaren, strahlenden, unverdorbenen Wahrnehmung – und mein späterer »Sündenfall« in Etiketten, Bedeutungen und Überzeugungen, die jeden unmittelbaren Sinneseindruck verfremden – war dazu gedacht, meinen Lesern verständlich zu machen, was wir alle hinter uns haben.
Mit was für großen Augen Kinder noch ins Mysterium blicken! Sie kennen nichts. Keine Bedeutungen, Meinungen, Interpretationen, keine Erwartungen oder Beurteilungen. Ein Kind erlebt alles genau, wie es ist – so lange, bis die Eltern anfangen, es zu bewerten (»Pfui, böse Spinne«). Manche Bewertungen sind allerdings absolut notwendig und von lebenswichtiger Bedeutung – so zum Beispiel, wenn wir Kindern beibringen, keine Straße zu überqueren, ohne vorher nach links und rechts geschaut zu haben.
Wie auch immer, schon mit ungefähr zehn sehen wir die Welt nicht mehr so, wie sie ist. Ein Teil unserer Ausbildung (beziehungsweise eigentlich eher unserer Deprogrammierung) besteht nun in der objektiven Analyse aller Wahrnehmungsfilter, die uns von der Außenwelt trennen. Sobald wir die Schlieren und den
»Schmutz« auf unseren Fenstern zur Welt erkannt haben, können wir anfangen, sie zu »putzen« und die klare, unverbrauchte Wahrnehmung, die Unschuld und Offenheit wiedergewinnen, die ich in dieser Vision meiner Rückkehr in die Kindheit beschrieben habe.
Wie der Krieger zu Reichtum kommt
Seine Antwort warf mich um. »Ich bin nicht arm, Dan. Ich bin unermesslich reich. Tatsache, man muss reich sein, um glücklich zu sein.«
Er lachte über mein dummes Gesicht, griff sich einen Kugelschreiber vom Schreibtisch und schrieb auf ein leeres weißes Blatt Papier:
»Wenn du genug Geld hast, um deine Bedürfnisse zu befriedigen, Dan, dann bist du reich. Allerdings kann man auf zwei verschiedene Arten reich sein: Du kannst Geld verdienen, erben, borgen, zusammenbetteln oder stehlen, um dir kostspielige Bedürfnisse zu befriedigen. Oder du kannst ein einfaches Leben führen, das nur wenig Bedürfnisse kennt. Auf diese Weise hast du immer mehr als genügend Geld. Nur der Krieger«, fuhrt er fort, »hat die Disziplin und die Einsicht, um die zweite Möglichkeit zu nutzen. Jeden Moment des Lebens mit voller Aufmerksamkeit zu erleben – das ist mein Bedürfnis und meine Befriedigung. Aufmerksamkeit kostet kein Geld. Deine einzige Investition ist dein Training. (…) Das Geheimnis des Glücks, siehst du, liegt nicht im Streben
nach ›immer mehr‹, sondern in der Fähigkeit, sich an wenigem zu freuen.«
Zwischen Bedürfnissen und Wünschen gibt es einen großen Unterschied. Diese Erkenntnis an sich ist nicht so radikal. Doch angesichts der tief greifenden Konditionierung des Egos, Dinge zu kaufen, zu besitzen und anzuhäufen, ist ihre praktische Umsetzung von erheblicher Tragweite. Für viele ist »sich was Neues anschaffen« Ablenkung und Leidenschaft zugleich. Der Erwerb eines neuen Hauses, eines Autos, eines Elektrogerätes, schicker neuer Schuhe oder was auch immer – wie aufregend! Handelsverkehr ist nicht per se schlecht. In einer florierenden Wirtschaft kaufen und verkaufen zahllose Menschen. Problematisch wird es erst, wenn es zur Sucht wird und man Wünsche mit Bedürfnissen verwechselt.
Alles, was wir brauchen, ist Essen, Wasser und ein Dach über dem Kopf. Dies (sowie eine gesunde, saubere Umwelt) vorausgesetzt, sind unsere Bedürfnisse erfüllt. Alles andere ist zusätzlich. Viele von uns, die wir das Glück haben, in
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