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Die Weisheit des friedvollen Kriegers

Die Weisheit des friedvollen Kriegers

Titel: Die Weisheit des friedvollen Kriegers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Millman
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um den egolosen Schuss, der keinen Schützen kennt, der den Schuss abfeuert – nur Bogen, Pfeil, Ziehen, Fliegen. Anders ausgedrückt: Der Körper schießt ohne das Empfinden irgendeines »Ichs«, das die Kontrolle hätte.

    Nach fast einem Jahr stand Herrigel eines Tages da, atmete sanft – der Pfeil wurde gelöst, flog – und traf eine Ecke des Strohballens. Der Meister rief: »Hai! Ja!« Und Herrigel erkannte, was da stattgefunden hatte: eine selbst-lose, natürliche Handlung ohne jede Angst und Anhaftung, ohne allen Ehrgeiz. Da gab es niemanden, der siegen, niemanden, der scheitern konnte. Kein Lob, kein Tadel.
    Später fand Herrigel die Gelegenheit, seinen Sensei zu fragen: »Ich glaube zu verstehen, was Sie mit dem eigentlichen, dem inneren Ziel meinen, das getroffen werden soll. Aber wie es zugehe, dass das äußere Ziel, die Papierscheibe, getroffen wird, ohne dass der Schütze gezielt hat, und dass somit die Treffer äußerlich bestätigen, was sich innerlich ereignet – diese Übereinstimmung ist mir unbegreiflich.«
    Der Meister nahm den Bogen und stellte sich vor die Zielscheibe. »Mach das Licht aus!« Herrigel gehorchte. Im Dunkeln hörte er, wie der Pfeil zweimal nacheinander die Zielscheibe traf. »Licht an«, sagte der Meister.
    Als sich Herrigels Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah er mitten im Schwarzen der Zielscheibe zwei Pfeile – so nahe beieinander, dass der eine fast auf dem anderen saß. Später erfuhr er vom Rekord des Meisters: zwölf Treffer hintereinander. Meditation in Aktion.
    Wenn das Ego die Show nicht dirigiert, geht die Show dennoch weiter – wie sich herausstellt, sogar noch effektiver.
    Wie würde sich die Qualität des Lebens verbessern, wenn wir alles, was wir täglich tun, essen, gehen, sprechen, ganz natürlich und spontan geschehen ließen, ohne dass ein Akteur die Zügel fest in der Hand hält?
Solche egolosen Handlungen meinen die Zen-Meister, wenn sie uns den Rat geben, »beim Leben zu sterben«.
    Ich habe ziemlich lange gebraucht, bis ich diese Kernlehre von Socrates wirklich verinnerlicht hatte – den Griff zu lockern, aus der Routine herauszutreten und Moment für Moment zu sterben, damit ich richtig leben konnte.

Zu Kapitel sechs:
Freude jenseits des Denkens
    Es gibt nur die Aufgabe, vor die uns der gegenwärtige Augenblick stellt, nichts anderes. Ein Menschenleben ist eine Aneinanderreihung von Einzelmomenten. Wenn man jeden dieser Momente vollkommen begreift, gibt es sonst nichts zu tun und weiter nichts anzustreben.
    Yamamoto Tsunetomo
    Eine Rückkehr in die Kindheit
    »Früher einmal, da bist du in strahlendem Glück geschwommen. Du konntest dich an den einfachsten Dingen erfreuen.« (…) Dann nahm er meinen Kopf zwischen beide Hände – und sandte mich zurück in meine Kindheit.
    Mit weit offenen Augen bestaune ich Farben und Formen der Dinge, während ich über die Fliesen des Fußbodens krabble. Ich streichele einen Teppich, und er streichelt mich wieder. Alles leuchtet, alles lebt. (…)
    Etwas später. Ein frischer Lufthauch streicht mir übers Gesicht. Ich krieche im Garten umher. Überall ragen bunte Blumen auf.
Unbekannte Gerüche hüllen mich ein. Ich reiße eine Blüte ab und stecke sie in den Mund. Eine bittere Botschaft! Ich spucke sie aus. Meine Mutter kommt. Ich strecke die Hand hoch und zeige ihr ein zappeliges schwarzes Ding, das meine Hand kitzelt. Sie bückt sich und wischt es weg. »Pfui, böse Spinne«, sagt sie. Dann hält sie mir ein weiches Ding an die Nase. »Rose«, sagt sie. Noch einmal macht sie diesen Laut: »Rose.« Ich blicke auf zu ihr, dann um mich herum und tauche wieder ein in die Welt der leuchtenden Farben.
    Vor mir sehe ich Socrates’ alten Schreibtisch, den gelben Teppich im Tankstellenbüro. Ich muss den Kopf schütteln. Alles erscheint mir unscharf, ohne Leuchtkraft.
    »Socrates, ich bin wie im Halbschlaf. Vielleicht sollte ich den Kopf unters kalte Wasser halten, damit ich wach werde. Bist du sicher, dass ich von dieser letzten Reise keinen Schaden behalten habe?«
    »Der Schaden, Dan«, sagt er, »ist viel früher geschehen, im Laufe der Jahre. Wie – das wirst du bald erkennen.«
    »Dieser Ort … es war wie der Garten Eden.«
    »Richtig, Dan. Es war der Garten Eden. Jedes Kind lebt in einem leuchtenden Garten, wo es die Dinge direkt empfindet, ohne die Einmischung von Gedanken. Der Sündenfall«, fuhr er fort, »passiert in jedem Menschen, wenn er beginnt, sich Gedanken zu machen. Indem wir den

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