Die Weisheit des friedvollen Kriegers
Spitzensportler, Krieger und Mönche, die Meditation in Bewegung praktizieren, kennen Satori .
Es sind die Momente, in denen Kopf, Herz und körperliche Vitalität in großer Harmonie zusammenwirken. Die meisten von euch werden so etwas auch schon einmal erlebt haben. In solchen Momenten können wahre Wunder geschehen, nicht nur beim Sport.
Socrates ging es weniger darum, dass ich Medaillen gewann. Viel wichtiger war ihm, dass ich auch im Alltag mehr und mehr in diesen Zustand der Verbundenheit kam, in dem der Akteur ganz in den Hintergrund tritt und nur noch die Bewegung und der Flow bleiben. Das Paradoxe daran ist, wie er mir einmal erklärte: Der Schlüssel zur Pforte liegt darin, dass das »Ich« diesen Zustand der Versunkenheit erreicht. Doch dann gibt es niemanden mehr, der hindurchgeht.
Die Kunst der Widerstandslosigkeit
»Die Budo-Künste lehren Harmonie – das Prinzip der Widerstandslosigkeit vor dem Angriff. Sieh dir die Bäume an, die sich dem Wind beugen und dennoch stehen bleiben. Solch eine innere Haltung ist wichtiger als jede physische Technik.«
Mit seinen Aikido-Griffen warf Soc mich jedes Mal auf den Rasen, und zwar mühelos – ganz gleich, wie sehr ich mich anstrengte, ihn aus dem Stand zu hebeln, ihn umzustoßen oder sogar ihm ein Bein zu stellen. »Nie sollst du gegen etwas ankämpfen«, sagte er. »Wenn du gestoßen wirst, dann zieh. Wenn du gezogen wirst, dann stoße. Du sollst die natürliche Richtung des Angriffs erkennen und dich ihr beugen. Auf diese Weise vereinigst du dich mit der Kraft der Natur.« Seine Wendigkeit im Kampf war Beweis genug für seine Worte.
(…)
Beim Trainingspensum in der Halle versuchte ich anzuwenden, was ich gelernt hatte: »Die Bewegung von selber geschehen lassen, nicht sie erzwingen!«
Unverkrampfte, fließende Bewegungen entsprechen dem geistigen Gesetz der Hingabe, Akzeptanz, Widerstandslosigkeit – nicht mehr kämpfen, sondern alles, was kommt, annehmen und für sich nutzen, die Kraft, die Energie, die Umstände mit Anmut handhaben. Dies gilt nicht nur für die Kampfkünste, sondern auch im Alltag.
Ein solches Fließen muss man üben; denn wir sind gewohnt, Widerstand zu leisten, uns zu ärgern, Erwartungen zu haben, festzuhalten oder zu erstarren. Wie dickköpfige Kinder, die von ihren Eltern gemaßregelt werden, steigen wir auf die Bremse und ziehen in die andere Richtung. Dieses Fließen zu lernen erfordert Zeit, feste Absichten und viel Praxis. Müssten wir einen mächtigen Fluss durchqueren, wäre es unklug, gegen den Strom zu schwimmen (wie wir es im Alltag so häufig tun); viel besser wäre es, sich von der Strömung tragen zu lassen.
Aikido (besonders aber auch die altrussische Kampfkunst, die Soc ursprünglich gelernt hatte und die heute Systema genannt wird) basiert auf dieser entspannten, natürlichen Praxis der Widerstandslosigkeit – erzieht die Schüler zu neuen Bewegungen und neuem Sein. Doch seine eigentlichen Früchte trägt der Pfad des friedvollen Kriegers nicht beim Sport oder im Kampfkunst-Dojo, sondern natürlich mitten im Alltag.
Meditation in Aktion
»Wenn man sein Tun meditiert, so ist es was andres, als wenn man es tut«, sagte er. »Um etwas zu tun, braucht es jemanden, der die Tat ausführt. Wenn du hingegen dein Tun meditierst, hast du schon jeden Gedanken losgelassen – sogar den Gedanken an ein Ich. Es bleibt kein Ich mehr, das die Tat ausführen könnte. Sie tut sich selbst – und indem du dich vergisst, wirst du selbst zur Tat, die sich tut. Und so wird dein Handeln frei, spontan, ohne Ehrgeiz, Angst oder Hemmungen.«
In seinem Klassiker Zen in der Kunst des Bogenschießens beschreibt Professor Eugen Herrigel seine ersten Tage in einer japanischen Zen-Schule des Bogenschießens – kyudo, »Weg des Bogens«. Er sollte einen Pfeil auf eine etwa zehn Meter weit entfernte Strohwalze schießen. In Deutschland hatte er etwas Gewehr- und Pistolenschießen gelernt, also spannte er den Bogen, löste den Schuss und beobachtete, wie der Pfeil sein Ziel erreichte. Mit einem gewissen Stolz drehte er sich zu seinem Meister um und musste sehen, dass er den Kopf voller Missfallen schüttelte.
Nach dem nach außen gerichteten, zielorientierten Training, das er genossen hatte, verstand Herrigel die Welt nicht mehr. Erst viele Monate intensiven Übens später begann er zu begreifen, dass beim kyudo das Ziel nicht darin besteht, eine gelungene Show abzuliefern, sondern im inneren Zustand von Satori: Es geht
Weitere Kostenlose Bücher