Die weiße Bestie: Thriller (German Edition)
wohlgefühlt, die ersten Male, als sie das Dorf besucht hatte. Vor allem, wie sie zugeben musste, hatte sie ihre Kleidung beim ersten Besuch in Asabo falsch ausgewählt. Anzug und Pumps gehörten nicht in die Savanne. Beim zweiten Besuch hatte sie sich nicht so gewaltig geirrt– aber die hochhackigen Pumps waren immer noch ein Problem.
Allerdings konnte sie auch nicht deformierte Kleider und ausgediente Flip Flops anziehen, nur weil es anscheinend die Art war, in der sich die Frauen auf dem Land in Kenia vorzugsweise kleideten.
Heute auf jeden Fall erst recht nicht. Sie dachte an Martin und lächelte vor sich hin. Der Großteil des Tages würde damit vergehen, zusammen mit ihm im Auto zu sitzen, also war es wichtiger, dass die Kleidung zur Fahrt als zum Besuch im Dorf passte. Im Übrigen hatte das Auto eine Klimaanlage, die im Gegensatz zu der in Stanleys Auto funktionierte, also würde es während der Fahrt nicht zu warm werden, egal, was sie anzog. Auf der anderen Seite wollte sie nicht noch einmal durch das Dorf laufen und sich wie jemand fühlen, der nicht wusste, wie man sich in Afrika anzog.
Sie verließ fünf Minuten vor neun das Zimmer, bekleidet mit einer auf Figur geschnittenen Bluse, Jeans und Pumps, aber in der Tasche hatte sie die Turnschuhe, die sie von zu Hause mitgenommen hatte, in der Hoffnung, es in den Fitnessraum des Hotels zu schaffen. Darunter trug sie ein Tanktop, so konnte sie die Bluse ausziehen oder auf jeden Fall aufmachen, wenn es zu warm wurde. Im Büro zu Hause würde es als sehr unprofessionell betrachtet werden, im Tanktop aufzukreuzen, aber hier müsste es okay sein. Dresscode war hier nicht gerade ein Modewort.
Martin stand wie versprochen auf dem Parkplatz bereit. Als sich Caroline ins Auto setzte, wurde sie unsicher, wie sie einander begrüßen sollten. Sollte sie ihn auf die Wange küssen, wie sie es gemacht hatten, als sie sich gestern Abend getroffen hatten? Oder sollten sie dort fortfahren, wo sie heute Morgen aufgehört hatten– mit einem richtigen Kuss? Sie schielte unsicher zu Martin, aber er lächelte nur, sodass Caroline lediglich das Lächeln erwiderte.
Sie fuhren durch Nairobi. Der Verkehr lief flüssig, anders als an den anderen Tagen. Außerhalb der werktäglichen Hauptverkehrszeit war so viel Platz auf den Straßen, dass man fast damit aufhörte, um seine Gesundheit zu fürchten.
» Wie geht es dir? « , fragte Martin nach einigen Minuten des Schweigens.
Caroline schaute ihn verwirrt an– es war doch nicht das erste Mal, dass sie sich heute sahen. Dann wurde ihr klar, dass er den Drohbrief meinte.
» Besser, danke. Ich habe mich gestern bestimmt nur ein bisschen erschrocken « , antwortete sie ausweichend. Sie hatte keine Lust, beim Vorabend zu verweilen. Sie war eine erwachsene Frau, sie hätte das allein meistern müssen.
» Dann gibt es dazu nichts mehr zu sagen! Ich finde es verrückt, dass du nicht mit dem ersten Flieger nach Hause geflogen bist. Alle würden es verstehen können, wenn du nach so einem Schrecken direkt nach Hause geflogen wärst .«
Caroline schüttelte den Kopf.
» Das kann ich nicht. Ich bin gezwungen, das hier zu tun .«
» Das bist du nicht. Ich werde dich allerdings sehr gern zum Flughafen fahren .«
» Martin, ich muss dorthin, mit dir oder ohne dich .«
Martin nickte.
» Alles klar. « Er steuerte um ein Auto herum, das am Straßenrand hielt, um von einem Straßenverkäufer Obst zu kaufen. » Ich habe übrigens über das nachgedacht, was du gestern erzählt hast: von deinem Vater gefeuert worden zu sein .«
Caroline krümmte sich zusammen. Sie wünschte sich, sie hätte ihm die Geschichte niemals erzählt. Es gab keinen Grund, seine Misserfolge auf diese Weise zu präsentieren. Jetzt wusste Martin etwas über sie, das er zu jeder Zeit gegen sie verwenden konnte. Auch wenn sie sich keine Situation vorstellen konnte, in der das aktuell werden würde, war allein der Umstand, dass er im Besitz dieses Wissens war, schlimm genug.
» Das ist doch oft so « , fuhr Martin fort, » dass Väter Angst davor haben, dass ihre Kinder cleverer als sie werden. In der Regel sind es Väter und Söhne, die konkurrieren, aber vielleicht konkurriert dein Vater stattdessen mit dir, weil er keinen Sohn hat, der eine Bedrohung für ihn darstellt .«
Sie hatte ihren Bruder erwähnt, als sie das letzte Mal zusammen zu Mittag gegessen hatten.
» Ich glaube nicht, dass mein Vater Bedarf an einem Wettrennen mit mir hat « , antwortete Caroline. »
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