Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
die sogenannte Restenose – die »Wiederverengung« des Gefäßes – zu verhindern. So zumindest die Theorie. Um das zu zeigen, war ich nach Berlin gekommen. Unter anderem, weil ein Kardiologe mir am Telefon gesagt hatte: »Der Groß, der stentet doch, was das Zeug hält.« Der Kardiologe hatte noch einige weitere kritische Anmerkungen zum Umgang seiner Zunft mit dem teuren Maschendraht gemacht. Leider erklärte er auf meine Frage, ob er das auch vor der Kamera sagen würde: »Ich bin doch nicht verrückt. Ich habe Familie.«
Professor Groß ist ein schlauer Fuchs. Als Koryphäe seiner Zunft hat er den Braten gerochen. Er hat geahnt, dass ich einen kritischen Beitrag zum überflüssigen Stenten machen möchte. Schließlich ist Deutschland »Weltmeister im Stenten«. Dabei zeigen internationale Vergleiche nicht, dass wir bezüglich der Sterblichkeit davon profitieren würden. In den letzten Jahren hatte es in der Wissenschaft und in den Medien wiederholt kritische Stimmen zum Stenten gegeben. Da hat sich unser Berliner Kardiologe für den Fernsehtermin einen geeigneten Kunden ausgesucht, an dem er nach reichlicher Überlegung seine »defensive Haltung« demonstrieren konnte. »Ich bin keiner von denen, die immer gleich einen Stent setzen, nein, damit muss man verantwortungsvoll umgehen«, so seine Geste.
Am Ende war ich mit dem Drehtag aber dennoch sehr zufrieden. Denn bei unserem Gespräch sagte er vor der Kamera auf die Frage, ob wir in Deutschland vielleicht zu viel stenten: »Ja, das glaube ich sehr. Viele Kardiologen sehen eine enge Stelle und haben sofort den Reflex, einen Stent zu setzen. Auch wenn die Patienten gar nicht davon profitieren.«
Der historische Aufstieg der Kardiologen
Die Kardiologen waren lange Zeit Dienstleister für die Herzchirurgie. Mit dem Kontrastmittel Bilder von den Herzkranzgefäßen anfertigen: Das war ihr wichtigster Job. Damit die Chirurgen sehen, ob und wo sie mit einem Bypass verengte oder gar verschlossene Gefäße überbrücken müssen. Ein Bypass ist einfach eine Umgehungsleitung. Ein Stück einer körpereigenen Ader der Patienten – meist aus einem Bein – wird vor und nach der Engstelle auf das Kranzgefäß genäht. Und schon fließt das Blut wieder ungehindert. Bis 1977 war das die einzige Möglichkeit, eine Enge oder gar einen Verschluss zu überbrücken. Doch dann erfand der deutsche Kardiologe Roland Andreas Grüntzig den Katheter mit Ballon. Ein Meilenstein. Die Herzmedizin sollte von nun an nicht mehr die alte sein. Jetzt wurden die Kardiologen zu »interventionellen« Kardiologen. Sie nahmen selbst Eingriffe vor. Der Kampf ums lukrative Herzgeschäft war eröffnet.
Mit dem Ballon wurde die Engstelle von innen her aufgedehnt. Was für eine geniale Idee! Sie hatte nur einen Schönheitsfehler: die »Restenose« – schon nach sechs Monaten waren die meisten Gefäße wieder zugewuchert. Man tüftelte an Alternativen, mit Fräsen etwa, aber das Problem blieb. Trotzdem wurde die »Ballondilatation« weiter betrieben. Weil es so ein schicker, kleiner und lukrativer Eingriff war.
Um es ganz deutlich zu sagen: Bei einem Infarkt kann der Ballon Leben retten. Aber die oft und gerne geübte prophylaktische Gefäßerweiterung konnte in Studien nie den Nachweis erbringen, dass die so Behandelten einen Überlebensvorteil hatten. So stand das prophylaktische, das vorbeugende Aufdehnen mit dem Ballon immer in der Kritik. Es musste also ein Fortschritt her. Die nächste Stufe bildete der drug-eluting balloon . Er war mit einem Zellgift beschichtet. Gegen das Wiederzuwuchern der Engstelle, die Restenose. Wieder ein plausibles Konzept, das man den Kunden ein paar Jahre lang gut verkaufen konnte. Leider konnten auch hier in Langzeitstudien keine echten Vorteile für die Patienten gezeigt werden.
Das entwickelte sich zum Muster: Die jeweils neueste Technik schien überzeugend und wurde zunächst als Durchbruch gefeiert. Wenn nach einigen Jahren Langzeitstudien zeigten: Das Konzept ist zwar gut. Doch es bringt nichts, sagten die Kardiologen. »Ja, Moment, das war die alte Technik. Wir haben jetzt was ganz Neues. Das funktioniert super.« So wurde in den Neunzigern der Stent eingeführt. Die Gefäßstütze. Wieder ein plausibles Konzept. Tatsächlich konnte man die Rate der Restenosen damit auch senken. Aber wieder zeigten Langzeitstudien: Das bringt nix. Die so Behandelten lebten nicht länger als Patienten, die nur mit Medikamenten (Blutdrucksenkern, Betablockern …) behandelt
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