Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Multivitaminpräparate in ernst zu nehmenden Studien 33 als schädlich erwiesen haben, ernte ich zunächst nur ungläubiges Kopfschütteln.
Vitamine für und gegen alles
»Mit vielen wertvollen Vitaminen«, »Mit Zusatzvitaminen«, »Mit extra Vitaminen«, »Mit den Vitaminen A, C, E und Beta-Karotin« und so weiter. Formulierungen wie diese stehen auf der Verpackung von Bonbons, Teesorten, Keksen, Müsli, Getränken aller Art – wo Sie wollen. Etwa die Hälfte der für Menschen produzierten Vitamine geht heute in die Nahrungsmittelproduktion. Der Pressesprecher des größten Vitaminproduzenten der Welt, der in Basel ansässigen Firma DSM, erklärte mir bei unseren Dreharbeiten zu dem Film Betrifft: Die Vitaminfalle stolz: »Sie würden kaum ein Produkt in einem Lebensmittelregal finden, wo nicht in irgendeiner Weise wir involviert sind. Unsere Kunden sind typischerweise Konsumartikelhersteller in allen Teilen der Welt. In allen Bereichen der Ernährung von Cornflakes über Schokoriegel bis hin zu Frischprodukten.«
Die andere Hälfte der industriell hergestellten Vitamine wird zu Pillen verarbeitet. Dabei hat sich das Angebot in den letzten 20 Jahren erstaunlich ausdifferenziert. Vitamine werden ganz speziell verkauft – für Senioren, für Kinder, für Schwangere, für junge Frauen, für Menschen mit Stress, für Sportler, für Raucher … Hat man Sie vergessen? Meine Liste ist sicher nicht vollständig! Vitamine werden verkauft gegen Vergesslichkeit, gegen Erkältung, gegen nachlassende Sehkraft, gegen nachlassende Vitalität, gegen Krebs, gegen Konzentrationsstörungen, Diabetes … – suchen Sie sich irgendeine Abweichung vom gedachten medizinischen Optimum aus, die nicht nur eine kleine, wirtschaftlich uninteressante Minderheit betrifft: Nach einer kurzen Recherche werden Sie ein Vitaminpräparat dagegen finden. Aber versuchen Sie einmal, vernünftig gemachte (placebokontrollierte) Studien zu finden, die den Nutzen dieser Präparate belegen. Da sieht es verdammt dürftig aus. Im Gegenteil: Gerade für die Blockbuster A und E zeichnet sich ab, dass regelmäßiger Konsum entsprechender Vitaminpräparate eher schadet als nützt. 34 So wie es bisher aussieht, ist wenigstens das beliebteste aller Vitamine, das Vitamin C, unschädlich.
Diese Erkenntnis ist in der Bevölkerung aber noch nicht angekommen. Beim Wort »Vitamin« dürfte es sich markentechnisch immer noch um das erfolgreichste Branding weltweit handeln. Hätte sich der polnische Biochemiker Casimir Funk, der das Kunstwort (aus vita = Leben und amin = Stickstoffverbindung) im Jahr 1912 prägte, seine Schöpfung als Wortmarke patentrechtlich gesichert, würden seine Erben heute vermutlich in einem Zug mit den Hiltons oder den Gates dieser Welt genannt. Doch worauf beruht der Glaube, dass sich mit diesen Substanzen ein positiver Einfluss auf die Gesundheit nehmen ließe?
Was ist das Gesunde an Vitaminen?
Schauen wir uns die Geschichte von Casimir Funk genauer an. Der Biochemiker Funk beschäftigte sich mit einer bis dahin unbekannten Mangelkrankheit, die in Japan und Indonesien Ende des 18. Jahrhunderts erstmals aufgetreten war: Beri-Beri – zu Deutsch: »Schafsgang«. Kräfteverlust und Lähmungen kennzeichnen das Krankheitsbild. Der niederländische Arzt Christiaan Eijkman hatte beobachtet, dass diese Krankheit bei Menschen und bei Hühnern erst aufgetreten war, seitdem sich in diesen Ländern europäische Reisschälmaschinen etabliert hatten. Dem polierten Reis fehlte offenbar ein wichtiger Stoff. Eijkmann verfütterte das »Silberhäutchen« des Reisvollkorns an die kranken Hühner und heilte sie damit. Der polnische Biochemiker Casimir Funk extrahierte die verantwortliche Substanz – Thiamin – aus den Schalen des Reiskorns, also aus Reiskleie, und gab ihr den Namen Vitamin B1. Forschungsergebnisse wie diese wirken bis heute. Sie sind für die Vollkornbegeisterung in weiten Bevölkerungskreisen verantwortlich und schüren das Misstrauen gegen industriell verarbeitete Grundnahrungsmittel.
Anfang des 20. Jahrhunderts war die goldene Zeit der Vitaminforschung. Wie bei Beri-Beri erkannte man bei weiteren Krankheiten einen Mangel eines bestimmten Stoffes als Ursache: häufig durch systematische Fütterungsversuche bei Tieren. So ließ sich Skorbut mit einer Säure behandeln, die daraufhin den Namen Ascorbinsäure erhielt: Vitamin C. Die Knochenwachstumsstörung Rachitis stellte sich als Mangel an einer Substanz heraus, die man Cholecalciferol bzw.
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