Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Besonders wenn sie das Erbmaterial angreifen, droht Böses. Drohen Mutation und Krebs. Im Reagenzglas, in der Zellkultur, hatte man Hinweise gefunden, dass es sich so verhält. So tauchte diese Argumentationskette in Tausenden Zeitungsartikeln auf, in Grafiken von Wissenschaftsmagazinen, in Fernsehspots. Noch heute trifft man im Zusammenhang mit den Vitaminen A, C und E ständig auf diese Aussage. Allein in Studien am ganzen Menschen konnte diese Behauptung nie nachgewiesen werden. Im Gegenteil. Und jetzt beginnt die Geschichte, die ich mit den Vitaminen erlebt habe. Eine Geschichte, in der Wissenschaft und Wirtschaftsinteressen gegeneinanderstehen. Zum Teil aber auch unheilige Allianzen eingehen. Wo Journalisten manipuliert und Wissenschaftlern die Worte im Munde herumgedreht werden.
Schaden durch Vitamine
Im Sommer 2008 war ich zum ersten Mal in Sachen Vitamine unterwegs. Ich flog nach Kopenhagen, wo ich am Universitätsklinikum Dr. Christian Gluud traf. Christian Gluud und seine Kollegen hatten eine Metaanalyse veröffentlicht, wonach die Vitamine A, E und Betacarotin die Sterblichkeit erhöhten. Vitamin C hatte sich in der Studie als einziges Vitamin als harmlos erwiesen. Um das Ergebnis dieser Studie besser einschätzen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass Dr. Christian Gluud und seine Mitarbeiter in Kopenhagen das Skandinavische Zentrum des Cochrane-Netzwerks leiten.
Schlechte wissenschaftliche Studien
Der Epidemiologe Archibald Leman Cochrane gilt als Vater der evidenzbasierten Medizin. In den 60ern und 70ern des 20. Jahrhunderts erkannte er, dass sich die angeblich so wissenschaftliche Medizin in weiten Bereichen auf Studien stützt, die nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben sind. Bei medizinischen Studien gibt es so viele Möglichkeiten des Designs, die von vornherein Fehler im Ergebnis verursachen (wir haben oben schon die epidemiologische Studie kennengelernt, die Kaffee für Lungenkrebs verantwortlich machen wollte), dass Archibald Leman Cochrane eine strenge Systematik für medizinische Studien forderte. Zum einen sollten die Studien »Interventionsstudien« sein. Das heißt, das zu untersuchende Medikament (oder der chirurgische Eingriff, das Nahrungsmittel …) muss den Probanden in der Studie verabreicht werden. Sie werden vielleicht sagen: »Ja, was denn sonst?« Tatsächlich wird oft auch eine rückblickende Befragung eines Patientenkollektivs, etwa: »Was haben Sie denn in den letzten zwei Jahren so an Nahrungsmitteln zu sich genommen?«, als wissenschaftliche Studie präsentiert.
Als zweites Kriterium für eine seriöse Studie gilt die Kontrolle gegen Placebo oder ein etabliertes Medikament. Mit der Placebokontrolle wird ermittelt, wie viel Wirksamkeit eventuell durch den Glauben der Patienten an die Therapie erzielt wird. In Moseleys Studie zur Knorpelglättung im Knie beispielsweise (siehe Kapitel 1, Abschnitt »Der Klassiker: Orthopädie«) brachte die endoskopische Behandlung den Patienten Linderung ihrer Schmerzen. Allerdings profitierte die Kontrollgruppe genauso von der Placebobehandlung. Das ist der klare Beweis dafür, dass das beeindruckende Brimborium des endoskopischen Eingriffs für die marginale Wirksamkeit verantwortlich ist und nicht die Knorpelglättung. Wichtig ist dabei, dass die Probanden in Bezug auf Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen statistisch gleichmäßig auf die beiden Gruppen – jene, die den Wirkstoff erhält, und die Placebogruppe – verteilt werden. Damit gleiche Ausgangsbedingungen herrschen. Der Fachbegriff lautet »randomisiert« (engl. random = Zufall). Das ist die dritte wichtige methodische Vorgabe für die Studien.
Cochrane-Netzwerk: für evidenzbasierte Medizin
Darüber hinaus gilt im Cochrane-Netzwerk: »Eine Studie ist keine Studie.« Vor allem kleine und mittelgroße Studien können zufällig zu diesem oder jenem Ergebnis kommen. Erst eine große Zahl von Probanden ermöglicht eine (fast) sichere Aussage über die Wirksamkeit eines Medikaments oder einer medizinischen Prozedur. Deshalb fahnden die Cochrane-Mitarbeiter in medizinischen Datenbanken nach Studien zu einem Thema. Nehmen nach Möglichkeit nur die Studien, die den strengsten Anforderungen entsprechen, und fassen sie zu einer Metaanalyse zusammen. Also zu einer Übersichtsarbeit, die nun auf dem besten verfügbaren Material und einer breiten statistischen Basis beruht.
Genau das hatten Dr. Gluud und seine Kollegen getan. Aus ursprünglich über 16 000 Studien aus
Weitere Kostenlose Bücher