Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Manipulation die Pharmaindustrie ein Produkt anbieten kann: Cholesterin. Eine Begriffsverschiebung von einem relevanten auf ein irrelevantes Kriterium. Ein genialer Coup der Hersteller der Cholesterinsenker, durch den sie ihr Produkt millionenfach an Menschen verkaufen kann, die davon nicht profitieren.
Vernebelungstaktik: HDL- und LDL-Cholesterin
Lassen Sie uns noch einen kurzen Blick auf eine weitere Vernebelungstaktik werfen, bevor wir dieses bittere Kapitel der Irreführung von Millionen verlassen. Nachdem in Studien immer mehr Hinweise aufgetaucht waren, dass die einfache Geschichte »Der hohe Cholesterinspiegel ist der Bösewicht« die medizinischen Tatsachen nur unzulänglich beschreibt, musste eine Differenzierung her. Jetzt wurden die unterschiedlichen Rollen von HDL- und LDL-Cholesterin in den Vordergrund gestellt. HDL steht für High-Density-Lipoprotein, LDL für Low-Density-Lipoprotein. Stellen Sie sich HDL und LDL einfach als zwei verschiedene Proteintaxis vor, in denen das schlecht wasserlösliche Fett namens Cholesterin im Blut transportiert wird.
Die Epidemiologen konnten tatsächlich statistisch hochsignifikant zeigen, dass ein hoher HDL-Spiegel mit einem geringeren Infarktrisiko einhergeht, während ein hoher LDL-Spiegel statistisch mit einem höheren Infarktrisiko zusammen auftritt. Damit man sich den Unterschied auch gut merken kann, prägte – ich schätze – eine Werbeagentur das Wording: H DL ist das H immlische Cholesterin und L DL ist das L iederliche Cholesterin. Dabei ist, wie ich versucht habe, in diesem Kapitel zu zeigen, ein gemeinsames Auftreten von zwei Phänomenen – hoher HDL-Spiegel und niedrige Infarktrate – kein Beweis dafür, dass sie ursächlich zusammenhängen (wie Kaffeekonsum und Lungenkrebs). Dennoch hat die Schweizer Pharmafirma Roche ein Mittel getestet, mit dem das HDL-Cholesterin im Blut erhöht werden konnte. Und zwar um 30 Prozent. Es wurde viel PR-Rummel um das Mittel gemacht: Dalcetrapib, das ab 2014 den Cholesterinmarkt neu aufmischen sollte. Im Mai 2012 kam allerdings die bittere Nachricht: »Roche gibt auf.« Die Erhöhung der Werte des himmlischen HDL-Cholesterins zeigten keinen messbaren Erfolg in der Verhinderung von relevanten Ereignissen wie Herzinfarkt oder Tod. Immerhin gab die Firma in diesem Fall am Ende die Sinnlosigkeit der Manipulation dieses Blutwertes zu. Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis die Verfolgung des »liederlichen« LDL-Cholesterins wegen des fehlenden Wirksamkeitsnachweises eingestellt wird.
Die Vitaminfalle
Mit dem Thema »Vitamine« habe ich mich in meinem Berufsleben häufiger auseinandergesetzt. Vor allem über die Blockbuster A, C und E, die »Antioxidantien«, die weltweit von etwa hundert Millionen Menschen täglich als Nahrungsergänzungsmittel konsumiert werden, habe ich in mehreren Magazinbeiträgen und in einer längeren Dokumentation berichtet. Dabei gab es viele denkwürdige und auch bizarre Ereignisse, die ein helles Licht auf die Verflechtung von Wirtschaft und Wissenschaft werfen. Sie zeigen, mit welchen Tricks uns überflüssige, ja sogar schädliche Präparate angedreht werden.
Geschichte der Vitamine bis zum ersten Verkaufserfolg
Vitamine sind wirtschaftlich nicht so bedeutsam wie die Cholesterinsenker, denn Cholesterinsenker sind teuer und Vitamine sind billig. Aber geht es um das Kriterium »Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung«, sind Vitamine mit Abstand das erfolgreichste Produkt.
Wobei man fairerweise erwähnen muss, dass in der goldenen Zeit der Vitaminforschung – nach dem Ersten Weltkrieg – die Wissenschaftler tatsächlich begeistert von den neu entdeckten Substanzen waren. Es war eine Zeit bitterer Not und Vitaminmangelkrankheiten wie Rachitis oder Skorbut waren damals weit verbreitet. Die Ursachen zu entdecken und eine Behandlung anbieten zu können war eine medizinische Sensation. Obst und Gemüse erfuhren damals in der öffentlichen Wahrnehmung eine erhebliche Aufwertung, denn sie sind reich an Vitaminen. In späteren Jahrzehnten, als die ausreichende Ernährung längst wieder gesichert war, musste man die Bevölkerung dagegen mit Fehlinformationen impfen, um ihr den Nutzen synthetisch hergestellter Zusatzvitamine schmackhaft zu machen. Die Rechnung ging auf. Das Bild dieser billig herzustellenden »Mikronährstoffe« ist mit einem geradezu heilsbringenden Image aufgeladen. Keiner kommt auf die Idee, dieses Image infrage zu stellen. Und wenn ich erzähle, dass sich
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