Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Studien bringen auffällig viel häufiger positive Studienergebnisse für die Präparate der Geldgeber als unabhängige Studien. Wolfgang Becker-Brüser, der im Jahr 2012 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Herausgeber des pharmakritischen arznei-telegramms , sagte mir bei unserem ersten gemeinsamen Drehtermin vor vielen Jahren: »90 Prozent der Industriestudien sind im Ergebnis manipuliert. Das reicht von schöneren Formulierungen in der Zusammenfassung, die von den Daten so nicht gestützt werden, bis zu frei erfundenen Studien, die es nie gegeben hat.« Ich war damals noch relativ neu im medizinkritischen Journalismus und konnte das nicht so recht glauben. Das hat sich mit den Jahren geändert.
Wir sind auf der Suche nach Antworten, warum die Cholesterinhypothese trotz der immer wieder enttäuschenden Ergebnisse in unabhängigen Studien so hartnäckig weiterlebt. Ein Teil der Erklärung liegt in manipulierten Studien der Hersteller über die Wirksamkeit und die geringen Nebenwirkungen der Cholesterinsenker. Ein Heer von Pharmareferenten besucht Ärzte und berichtet ihnen mit den frisierten Herstellerstudien als Argumentationshilfe von den angeblich so segensreichen und nebenwirkungsarmen Mitteln zum Kampf gegen das böse Cholesterin. Ein weiterer Baustein zu einer Antwort liegt sicher in den eminenzbasierten und industrienahen Medizinischen Fachgesellschaften, die wir im Kapitel 2, Abschnitt »Die Fallstricke der medizinischen Selbstverwaltung«, kennengelernt haben. Der berühmte Professor Sowieso, der schon vor 20 Jahren auf Kongressen lautstark für die Cholesterinsenkung eingetreten ist und auf dieser Basis eine lukrative Beziehung zu den Statin-Herstellern aufgebaut hat, wird seine Kardiologen nicht gerne auf eine statinkritische Linie bringen. Also bleibt Cholesterin der »böse Bube« in der Arteriosklerosegeschichte.
Big Pharma Hand in Hand mit Lebensmittelherstellern
Eine weitere Erklärung für die Beständigkeit der Cholesterinhypothese lautet: Die Angst wird von der Cholesterinsenkungsindustrie gezielt geschürt. Dieses Feld wird ja nicht nur von den Herstellern der Statine beackert, die damit den fantastischen Jahresumsatz von 30 Milliarden Dollar erzielen. Eine weitere Branche macht fette Umsätze mit cholesterinarmen Produkten bzw. mit Produkten, die damit werben, keine tierischen Fette zu enthalten. Eine Branche, mit der wir fast täglich beim Einkauf Kontakt haben: die Hersteller funktioneller Lebensmittel. Allen voran die Marke Becel, die sich mit dem Hinweis auf eine günstige Beeinflussung des Cholesterinspiegels eine stabile Marktposition erstritten hat. Becel und Konsorten sorgen immer wieder mit Werbekampagnen dafür, dass die Angst vor dem »bösen Fett« in der Bevölkerung wach bleibt.
Erinnern Sie sich an den Spot aus der Fernsehwerbung von Becel: Ein U-Boot ist im Körper unterwegs, miniaturisiert wie bei dem Science-Fiction-Klassiker Die Reise ins Ich . In der Außeneinstellung sieht man, dass das U-Boot irgendwie an ekligen hellgrauen Riesenblasen hängen geblieben ist. Die Besatzung auf der Brücke ist beunruhigt. Ein Waffenoffizier, der entfernt an Mr Spock erinnert, beobachtet besorgt seinen Scanner. Dann blickt er mit ernster Miene auf und sagt mit Grabesstimme zum Käpt’n: »Es ist Cholesterin.« Für eine Sekunde herrscht betroffenes Schweigen. Doch da keimt Hoffnung auf. »Lieutenant Uhura« meldet: »Käpt’n, da kommt was von hinten. Das Cholesterin löst sich auf.« Und in der Außeneinstellung sieht man, wie die bösen Cholesterinblasen von irgendwas zum Platzen gebracht werden. Dieses rettende »Irgendwas« entpuppt sich dann als die pflanzliche Margarine Becel.
Ob sich mit der Verwendung pflanzlicher Margarine der Cholesterinspiegel dauerhaft in einer relevanten Größenordnung senken lässt, ist – gelinde gesagt – umstritten. Selbst wenn Becel diese Leistung vollbrächte, gilt auch hier: Die Höhe des Cholesterinspiegels an sich sagt – zumal bei Gesunden – überhaupt nichts aus. Becel wirbt bezeichnenderweise auch nicht damit, dass es Arteriosklerose verhindern oder das Leben verlängern kann. Das wurde nie in Studien belegt. Die Fixierung auf den Laborwert »Cholesterinspiegel« als Stellvertreter für ein wirklich aussagekräftiges Kriterium – sagen wir: Überleben – ist der Kern der Verwirrung in der Diskussion. Eigentlich müssten wir über Arteriosklerose sprechen. Denn das ist das Problem. Stattdessen sprechen wir über etwas, für dessen
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