Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Neurostimulator Koffein korreliert mit der Sucht nach dem Neurostimulator Nikotin. Daher kam die Korrelation von Kaffee und Lungenkrebs. Daraus eine Kausalität abzuleiten ist ein Fehler. So ist es nach wissenschaftlicher Datenlage auch mit dem Cholesterinspiegel. Er ist im Alter erhöht. Und im Alter tritt Arteriosklerose vermehrt auf. Das bedeutet aber nicht, dass Cholesterin für die Erkrankung verantwortlich ist.
Immer wieder wurden Studien veröffentlicht, die die Sinnlosigkeit der Choleserinsenkung bei ansonsten Gesunden zeigten. Die letzte große Metastudie dazu gab es im Jahr 2010. Sie umfasste elf Einzelstudien, die alle placebokontrolliert und verblindet – also nach den strengsten Regeln – durchgeführt worden waren. Mit insgesamt 65 229 Teilnehmern besitzt diese Metaanalyse eine beachtliche statistische Basis. 32 Die Teilnehmer waren, gemessen an ihren Cholesterinwerten, »Hochrisikopatienten«, wenn man den üblichen Grenzwert von 200 Milligramm pro Deziliter Blut annimmt. Ansonsten waren sie aber gesund. Am Ende der Metaanalyse stand ein Ergebnis, das der Cholesterinsenkungsindustrie gar nicht gefiel: Die Personen, die die echten Präparate bekommen hatten, lebten nicht länger als diejenigen, die die Placebopillen ohne Wirkstoff geschluckt hatten. Obwohl die Cholesterinsenker die Cholesterinspiegel zuverlässig gesenkt hatten.
Cholesterinsenker zur »Primärprävention« bringen nichts
Es gibt aber auch eine Gruppe, die tatsächlich von diesen Medikamenten, den Statinen, profitiert. Nämlich Herzkranke. Also Patienten, die bereits einen Infarkt hatten. Allerdings ist die Wirkung nicht besonders groß. Man muss, statistisch gesehen, 25 dieser Patienten 15 Jahre lang behandeln, um einen einzigen Herzinfarkt zu verhindern. Auf den einzelnen Patienten umgerechnet, bedeutet das: Er senkt sein Risiko mit 15 Jahren Tablettenkonsum um vier Prozent. Keine tolle Bilanz. Dennoch wird für diese Gruppe die Anwendung der Statine allgemein akzeptiert. Allerdings ist dabei nicht einmal nachgewiesen, dass die Senkung des Cholesterinspiegels diesen schwachen Erfolg bewirkt. Studien zeigten nämlich, dass eine stärkere Senkung des Cholesterinspiegels nicht die erwartete Verbesserung der Wirksamkeit erbrachte. Längst wird diskutiert, ob nicht zum Beispiel entzündungshemmende Wirkungen der Cholesterinsenker für den kleinen Erfolg in der Bekämpfung der Arteriosklerose verantwortlich sind und auch bei den Herzkranken der Cholesterinspiegel gar keine Rolle spielt.
Als wir im Frühsommer 2012 in unserem Wissenschaftsmagazin Odysso im SWR-Fernsehen zum wiederholten Mal über diese Zusammenhänge berichten, lenkt mein Experte im Interview, Professor Thomas Münzel, Kardiologe und Leiter der 2. Medizinischen Klinik der Uniklinik Mainz, den Blick auf einen Punkt, der in der Diskussion über die Statine oft vernachlässigt wird: die Nebenwirkungen dieser Medikamente. Für mich kam das völlig überraschend, weil in unserem vorangegangenen Telefonat überhaupt nicht die Rede davon war. Der Experte erklärte mir, wie die Hersteller der Statine in ihren Studien die Rate der Nebenwirkungen mit einem einfachen Trick gering halten: »Ein wichtiger Punkt, den man berücksichtigen muss, ist, dass in den Studien, die man zur Primärprävention gemacht hat – also Verhinderung von Herzinfarkten –, Nebenwirkungen wie Muskelschmerzen mit bis zu fünf Prozent als sehr niedrig angegeben worden sind. Wir wissen heute, dass in diesen Studien vor allem Problempatienten ausgeschlossen wurden. Wenn man heute in der real world – also in der Sprechstunde – schaut, wie viele Leute haben denn die Muskelschmerzen unter dieser Therapie, dann liegt die Zahl meiner Meinung nach sehr viel höher. Also, ich würde sagen, jeder dritte Patient, der zu mir in die Sprechstunde kommt, hat aufgrund dieser Fettsenkertherapie massive Muskelschmerzen.«
Prof. Münzel hat mir auch erklärt, wie die Problempatienten in den Studien aussortiert werden: Es gibt die sogenannte Coming-in-Phase. Acht Wochen schlucken die Probanden Statine, so der Mainzer Kardiologe. Dann werden die Probanden, die negative Nebenwirkungen entwickeln, aussortiert. Erst dann startet der auszuwertende Teil der Studie mit »statintoleranten« Probanden. Am Ende der Studie gelten die Statine dann als nebenwirkungsarm. Sie finden das empörend? Leider ist das normal. Dass industriefinanzierte Studien häufig frisiert sind, ist sogar durch Studien belegt. Industriefinanzierte
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