Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
den letzten 55 Jahren zum Thema antioxidative Vitamine hatten sie 47 nach den strengsten Kriterien erstellte Studien herausgefiltert. Annähernd 200 000 Probanden hatten an diesen Studien mitgewirkt. Einen Teil der Studien hatte man an gesunden Probanden durchgeführt und wollte ursprünglich die vorbeugende Wirkung der Vitamine testen. In anderen Studien waren die Probanden Kranke, bei denen man eine positive Wirkung der Vitamine auf den Heilungsprozess untersuchte. In der Metaanalyse konzentrierten sich die dänischen Wissenschaftler auf das klarste Kriterium, das es für solche Studien gibt: die Sterblichkeit. Und da zeigte sich, dass die Sterblichkeit in der Vitamingruppe signifikant höher lag als in der Placebogruppe.
Es gab in Deutschland von wissenschaftlicher Seite sehr interessante Reaktionen auf die Metaanalyse. Zwei möchte ich Ihnen kurz vorstellen. Sie werfen ein helles Licht auf die Verbindung von Industrie und Wissenschaft. So hielt die Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung GVF im Juli 2007, kurz nach der Veröffentlichung der Studie, einen Journalistenworkshop ab. Das Thema: »Vitamine & Co. in Studien und Metaanalysen – wissenschaftliche Daten kritisch lesen und richtig interpretieren«. 35 Den Vortrag hielt Prof. Dr. Joerg Hasford vom Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein ausgewiesener Fachmann für das Thema.
»Wissenschaftliche Daten kritisch lesen und richtig interpretieren«
Er kritisierte an der Kopenhagener Vitaminstudie der renommierten Cochrane-Gesellschaft unter anderem:
das Fehlen der Angaben zu den Todesursachen
das Fehlen der Angaben zu den Todeszeitpunkten
das Fehlen der Auswertung des Behandlungsziels
Gesunde und Patienten mit den unterschiedlichsten Krankheiten waren in die Studie einbezogen.
Die Studien hatten sehr unterschiedliche Laufzeiten.
Wir müssen diese Punkte gar nicht im Einzelnen ansprechen. Überlegen Sie nur mal Folgendes: Ich habe 200 000 Probanden und verteile diese zufällig (randomisiert) auf zwei Gruppen. Die eine Gruppe bekommt Vitamine, die andere Gruppe wirkungslose Placebopräparate. Und dann schaue ich nach dem relevantesten Zielkriterium, das es gibt: nämlich in welcher Gruppe mehr Probanden versterben. Hier stelle ich fest, dass in der Vitamingruppe mehr Leute versterben als in der Placebogruppe. Das ist ein ganz klares Ergebnis. Ich muss die Todesursachen nicht einzeln untersuchen. Natürlich werden auch Probanden bei Verkehrsunfällen verstorben sein oder aus anderen Gründen, die vielleicht nichts mit den Vitaminen zu tun haben. Aber das wird in beiden Gruppen passieren. Und bei der großen Zahl von 100 000 Personen pro Gruppe wird es bei beiden Gruppen etwa gleich oft passieren. Wenn sich dennoch ein Unterschied in der Sterblichkeit ergibt, dann kann er sich nur aus dem einzigen Grund ergeben, in dem sich die beiden Gruppen unterscheiden: dem Konsum von Vitaminpräparaten.
Da interessiert es auch nicht weiter, wie lange die Studien dauerten oder ob die Probanden gesund oder krank waren oder wann genau sie gestorben sind. Deshalb werden ja randomisierte placebokontrollierte Studien herangezogen. Bei der großen statistischen Basis sind alle Rahmenbedingungen in der Vitamingruppe und der Placebogruppe gleich. Bis auf die Vitamine.
Beleidigung anstelle wissenschaftlicher Argumentation
Professor Hasford als Biometriefachmann und Epidemiologe müsste das eigentlich wissen. Er aber erteilt der Kopenhagener Metastudie dreimal die Schulnote »Sechs« und schließt seinen Vortrag mit einem Limerick mit dem Titel: »Meta-analysis«:
»An ambitious physician in Boston
Wished to publish quickly and often
So he re-searched the lit
P’ed and R’ed it a bit
And first-authored a meta-concoction«
Das »Boston« in der ersten Zeile bezieht sich auf den Erstautor Dr. Goran Bjelakovic, der die Studie in Boston der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Frei übersetzt, heißt das Kurzgedicht:
»Metaanalyse
Ein ambitionierter Arzt aus Boston
wollte schnell und häufig veröffentlichen
Also durchforschte er die (wissenschaftliche) Literatur
schüttelte die Daten etwas durcheinander
und veröffentlichte ein Meta-Gebräu.«
So etwas ist keine wissenschaftliche Argumentation, das ist eine Beleidigung. Die inhaltliche Kritik des Münchner Epidemiologen an der Meta-studie ist über weite Strecken hanebüchen. Können Sie mir erklären, warum Professor Hasford sich
Weitere Kostenlose Bücher