Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
das damals richtig Staub aufgewirbelt. So hatte auch ich davon erfahren. Dieser Prozess war einer der Gründe für Michaels Absturz. Das Scheitern seiner Ehe. Den Zusammenbruch seiner Praxis. Die Anmeldung der Insolvenz. Er erzählt mir mit einem abgeklärten Lächeln, dass er dann »die Seiten gewechselt« habe. Michael ist heute beim MDK, dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Wir haben die Institution bei der Darstellung des verhängnisvollen Abrechnungssystems der Krankenhäuser (DRG-System) schon kennengelernt. Der MDK überprüft Arztrechnungen. Michael überprüft Zahnarztrechnungen. Aus seiner Erfahrung als Zahnarzt und beim Prüfdienst MDK weiß er, dass Überbehandlung auf fast allen medizinischen Gebieten an der Tagesordnung ist. Deshalb sagt er, dass er mein Buchprojekt gut findet. Trotzdem will er wissen: »Was hat dich eigentlich so böse gemacht?«
Ich überlege, was ich ihm antworten soll. Vor allem möchte ich klarstellen, dass ich nicht böse bin. Höchstens wütend …
Schon als Kindergartenkind habe ich mich für Wissenschaftsjournalismus interessiert. Der offene Himmel mit Professor Heinz Haber im Fernsehen fand ich interessanter als Das Zauberkarussell . Es war die Apollo-Zeit. Raumfahrtbegeisterung. Später las ich lieber Am Anfang war der Wasserstoff von Prof. Hoimar von Ditfurth als Fünf Freunde von Enid Blyton. Während meiner ganzen Studienzeit (ich habe Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie studiert) habe ich an der Pressestelle der Johannes-Gutenberg-Universität gearbeitet, dort einige Hundert wissenschaftsjournalistische Artikel geschrieben. Und kein einziger war dabei, der sich kritisch mit medizinischen Praktiken auseinandergesetzt hätte. Das Thema hatte ich überhaupt nicht »auf dem Schirm«. Hätte man mich damals – Ende der 80er, Anfang der 90er – gefragt, ob es Chirurgen gibt, die aus Geldgier überflüssige Operationen an ihren Patienten vornehmen, hätte ich wahrscheinlich auch nur ungläubig mit dem Kopf geschüttelt. Aber vermutlich war dieses Phänomen damals auch noch längst nicht so verbreitet wie heute. Außerdem arbeitete ich hauptsächlich für die Zeitung der Universität. Also quasi bei einer Werkszeitung. Das Thema wäre dort undenkbar gewesen. Was hätten die Professoren von der Uniklinik dazu gesagt?
Wissenschaftsberichterstattung oder Journalismus?
Als ich zum ersten Mal einen Bericht über eine manipulierte Pharmastudie machte, war ich ganz aufgeregt. Es ging um das Antidepressivum Paroxetin. 2004 wurde bekannt, dass der englische Hersteller Glaxo ein ganzes Jahrzehnt lang Studiendaten zurückgehalten hatte, die zeigten, dass Paroxetin die Selbstmordneigung jugendlicher Patienten deutlich erhöht. Selbstmordversuche in den Studien wurden zu »emotionaler Labilität« umcodiert und so verschleiert, negative Studienergebnisse einfach nicht veröffentlicht. Firmeninterne Papiere belegten, dass der Firmenleitung das Problem bekannt war, dass man die Öffentlichkeit aber nicht informieren wollte, weil das wirtschaftlichen Schaden für das Unternehmen bedeuten würde. 39
Ich erzählte einem Kollegen – einem erfahrenen Politjournalisten – die Story und erklärte, dass einem so ein richtiger »Aufreger« in unserer Arbeit ja sicher nur alle paar Jahre mal unterkomme. Ich sehe sein Gesicht noch genau vor mir. Eine Mischung aus Verwunderung, Spott, Amüsement, Abschätzigkeit. Immer wenn ich daran denke, fallen mir Sätze ein, von denen ich annehme, dass sie meinem Kollegen in diesem Moment durch den Sinn gingen: »Frank, du musst schon mit zwei geschlossenen Augen durch die Welt gehen, um nicht zu sehen, dass Profitsucht eine allgegenwärtige Triebfeder unserer Gesellschaft ist, die Öffentlichkeit ständig mit Kampagnen manipuliert wird und die größten Zyniker häufig die höchsten Posten in Unternehmen bekleiden. Aus dem schlichten Grund, weil sie am rücksichtslosesten die ökonomischen Interessen ihrer Firma vertreten.«
In den folgenden Jahren, in denen ich immer häufiger »dunkle Fäden« anfasste und kritisch recherchierte, musste ich lernen, dass es in der Medizin tatsächlich dunkle Machenschaften zuhauf gibt. Dass die 280 Milliarden Euro, die in Deutschland jährlich durch das Gesundheitssystem geschleust werden, jede Menge kriminelle Energie auf den Plan rufen. Diesem ökonomisch motivierten Medizinbetrieb geht es zu oft nicht mehr um die Gesundheit der Menschen, sondern in erster Linie um Profit, und das stört mich
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