Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
persönlich gewaltig. Vor allem auch weil es nicht Fehltritte Einzelner sind. Nicht die berühmten schwarzen Schafe – ein paar Bösewichte, die abzocken wollen. Unser Gesundheitssystem leistet durch seine ökonomische Zurichtung der Ausbildung mafiöser Strukturen geradezu Vorschub. Das Wort von den mafiösen Strukturen hat übrigens der Gesundheitsökonom Prof. Karl Lauterbach gebraucht, als er im Mai 2012 zu einer Studie Stellung nahm, die gezeigt hatte, dass jede vierte Klinik in Deutschland »Fangprämien« an niedergelassene Ärzte zahlt. Für die Überweisung von Patienten. Lauterbach sagte: »Das sind Mafiaverhältnisse, die einen Riesenschaden verursachen, vor allem für Patienten, die so in Behandlungen kommen, die für sie nicht optimal sind.« 40
Mafiaverhältnisse
Überlegen Sie mal, wie viele Patienten nicht nur in suboptimale, sondern in völlig überflüssige Behandlungen hineinschlittern. Der niedergelassene Arzt nimmt gerne noch mal einen Hunderter mit und überweist den Patienten in die Klinik, obwohl es ein Stützstrumpf oder eine Schiene für die angeknackste Ferse auch getan hätte. Im Krankenhaus – darauf können Sie Gift nehmen – wird man zu dem Patienten auch nicht sagen: »Och, da reicht Ihnen eigentlich auch ein Stützstrumpf (konservative Behandlung). Ich schreib Ihnen mal ein Rezept. Und dann gehen Sie in ein Sanitätshaus und gönnen dem Fuß ein paar Tage Ruhe.« Wenn die schon mal eine Fangprämie bezahlen, dann wollen sie an dem Patienten natürlich auch ordentlich was verdienen. Also wird am Sprunggelenk operiert. Das habe ich meinem Klassenkameraden Michael nicht alles im Einzelnen erzählt. Aber im Prinzip war das meine Antwort auf seine Frage, was mich denn so »böse« gemacht habe.
Beim Thema »Das Geld lockt« lächelt Michael und nickt zustimmend. Er schildert mir eine Facette der mafiösen Struktur, die mir bis dahin nicht bewusst war: »Du wirst schon im Studium angefixt«, sagt er. Und dann erzählt er, dass ihm und seinen Mitstudenten nach dem bestandenen Physikum – also noch mitten im Studium – von der Ärzte- und Apothekerbank ein besonders günstiges Darlehen angeboten wurde. »Zu Konditionen, da konntest du kaum widerstehen.« Mit diesem Geld, zusätzlich zum BAföG, ließ es sich schon recht gut leben. Über dem normalen studentischen Niveau. Ich überlege, in wie vielen medizinstudentischen Gehirnen mit dieser bevorzugten Behandlung das elitäre Bewusstsein gezüchtet wird: ›Ich bin ein designierter Besserverdienender.‹
Wer sich daran schon mal gewöhnt hat …
Michael erzählt weiter: »Wenn du die Praxis eröffnest, kommt der Kredit wieder von der Ärzte- und Apothekerbank. Da sind die Konditionen schon nicht mehr ganz so gut. Du hast dich verschuldet. Du hast Druck, Geld zu verdienen. Das fördert nicht gerade die Neigung, konservativ zu behandeln«, sagt mein ehemaliger Klassenkamerad. Konservativ behandeln heißt: kein Eingriff, keine Operation. »Conservare« bedeutet lateinisch »bewahren«. Das heißt konkret zum Beispiel Schmerztherapie, bis der Körper das Problem gelöst hat. Eine Strategie mit dem selten gehörten Fachbegriff »zuwarten«. Also schauen, ob die Symptome nicht von selbst verschwinden. Als Hilfestellung Krankengymnastik, Stützstrumpf, Ernährungsumstellung, Sport, Psychotherapie oder was sonst zum medizinischen Problem passt.
Damit verdient aber keine Klinik und kein niedergelassener Arzt und kein Medizingerätehersteller auch nur einen Cent. Also werden Medizingerätehersteller, wenn irgend möglich, dafür sorgen, dass die Philosophie der Ärzte sich in Richtung Gerätemedizin entwickelt: Tolle Bildgebung! Modernste Operationsroboter! Total minimalinvasiv! Aber da ist es schon wieder passiert, denn die Technik ist teuer und soll sich möglichst rasch amortisieren: »Du hast dich verschuldet. Du hast Druck, Geld zu verdienen. Das fördert nicht gerade die Neigung, konservativ zu behandeln«, hatte Michael gesagt.
Können Sie sich vorstellen, wie mächtig im Gegensatz dazu die Lobby der Krankengymnasten ist? Oder die Lobby der Ernährungsberater? Ich sag Ihnen was. Auch wenn Sie es sich wahrscheinlich schon denken können: Die haben gar keine. Die haben auch kein Geld, Ärztekongresse zu finanzieren oder Fortbildungsveranstaltungen in der Toskana, um die Ärzte darauf einzuschwören: »Verschreibt mehr Krankengymnastik.« »Sagt den Leuten, sie sollten sich mehr bewegen und sich besser ernähren.« Die Pharmaindustrie hat
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