Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)

Titel: Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Wittig
Vom Netzwerk:
andere Unregelmäßigkeit zu entdecken ist. Woraufhin der Schmerzpatient in den Operationsplan eingefädelt wird. In der Hälfte der Fälle, sagt Prof. Jürgen Harms, ohne jede medizinische Notwendigkeit.
Bandscheiben-OP – Goldgrube der orthopädischen Chirurgie
    Die Operation gehört zu den häufigsten medizinischen Eingriffen in Deutschland: Die »Exzision von erkranktem Bandscheibengewebe«, OPS-Schlüssel 5-831, wurde laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2010 in 171 729 Fällen durchgeführt. Wie viele Dutzend wirbelsäulenchirurgische Klinikabteilungen müssten wohl schließen, wenn nach der Empfehlung des Nestors der deutschen Wirbelsäulenchirurgie, Prof. Jürgen Harms, die Hälfte der Bandscheibenoperationen nicht durchgeführt würde?
    Der zweite Grandseigneur der Orthopädie, der wiederholt als Kronzeuge gegen Überbehandlung Stellung bezog – in diesem Fall ein Kniefachmann –, ist Prof. Hans Pässler, zuletzt der Knieexperte in einer renommierten Heidelberger Privatklinik. Der Mitbegründer der Europäischen Föderation Nationaler Gesellschaften für Orthopädische Sportmedizin (EFOST) ist mittlerweile im Ruhestand, aber sein Engagement im Zweitmeinungsportal »Vorsicht!Operation« zeigt, wie sehr ihm das Thema Überbehandlung auch jetzt noch am Herzen liegt. 43 Als ich das erste Mal mit einem Kamerateam in seiner Praxis bin, beeindrucken mich die signierten Fotos von Sebastian Schweinsteiger und Steffi Graf, die beide von Prof. Pässler am Knie operiert wurden. Doch der weißhaarige, sportlich wirkende Orthopäde sammelt nicht nur Promifotos. Er sammelt auch Patientenvideos, um orthopädische Quacksalberei zu dokumentieren.
    Patienten, die oft nach einem offensichtlich verpfuschten Eingriff Hilfe bei ihm suchten, brachten diese erschütternden Dokumente mit. Bei den minimalinvasiven, endoskopischen Eingriffen am Kniegelenk liefert eine Endoskopkamera Bilder vom Operationsgeschehen. Das Ganze wird ohnehin meistens auf Festplatte dokumentiert. Da reichen ein Mausklick und ein DVD-Rohling für 30 Cent, und der Patient kann die Aufzeichnung der medizinischen Prozedur als Video mit nach Hause nehmen. Bei den Beispielen, die Prof. Pässler gesammelt hat, fragt man sich allerdings, weshalb die Orthopäden das Risiko eingehen, dass sie mit dieser Dokumentation ihres Eingriffs der groben Pfuscherei überführt werden.
Pfusch am Knie im Video dokumentiert
    Eines der Videos zeigt eine Operation, bei der der Orthopäde einen Meniskus festnäht. Der Orthopäde hatte seinem Patienten allen Ernstes erklärt, er müsse den lockeren Meniskus fixieren. (Die Menisken sind sichelförmige Knorpelmanschetten, die das Kniegelenk stabilisieren.) Staunend sehe ich in dem Video, wie der behandelnde Orthopäde die weiße Knorpelmanschette mit einer Nadel durchsticht, einen schwarzen Faden einzieht und den Meniskus so an zwei Stellen am Kapselgewebe festnäht. Prof. Pässler ringt angesichts der Widersinnigkeit der Prozedur um Fassung: »Das Knie macht beim Beugen eine Rollbewegung. Mindestens anderthalb Zentimeter. Die Menisken müssen beweglich sein, damit sie diese Bewegung mitvollziehen können.« Der Heidelberger Orthopäde sieht mir mit einem Blick in die Augen, dass ich ahne, was für ein Satz ihm gerade durch den Kopf geht: »Wer käme auf die Idee, dass ein Mediziner so eine Sauerei durchzieht?«
    Dann zeigt Prof. Pässler mir ein weiteres Video aus seinem Gruselkabinett. Den Eingriff, der sich da vor der Kamera abspielt – eine winzige Schere schneidet Stücke aus der Gelenkinnenhaut heraus –, kommentiert er folgendermaßen: »Hier hat der Chirurg offensichtlich nichts gefunden, was operiert werden muss. Da schneidet er halt etwas von der Plica ab. Damit er mehr abrechnen kann. Sonst wäre es ja nur eine Untersuchung. So ist es ein Eingriff. Die Plica ist hier zart und völlig unauffällig. Medizinisch sehe ich keinen Sinn in diesem Eingriff.« Ich habe beim Statistischen Bundesamt nachgesehen. Im Jahr 2010 gab es unter dem OPS-Schlüssel 5-811: »Arthroskopische Operation an der Synovialis« (Gelenkinnenhaut – dazu gehört die Plica) 90 514 Eingriffe. Wie viele davon mögen – wie dieses auf Video dokumentierte Beispiel – mit krimineller Energie und aus reiner Geldgier durchgeführt worden sein?
    Ein drittes Video stammt aus dem Knie eines Patienten, der mit seiner Krankengeschichte in einem meiner Beiträge auftaucht. Der Unternehmer hat Knieschmerzen. Er ist Mitte fünfzig, leidenschaftlicher Skifahrer

Weitere Kostenlose Bücher