Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
(hohe Abnutzung im Kniegelenk) und hat sich von einer Münchener Privatklinik für 17 000 Euro eine »Gelenktoilette« und eine »Chondroplastik« aufschwatzen lassen. Die »Gelenktoilette« (zu Deutsch: Spülung) hatte schon der amerikanische Orthopäde Bruce Moseley in seiner Studie zur Knorpelglättung als Nonsenseingriff entlarvt. Mit der »Chondroplastik« – so war es dem Kniepatient in München versprochen worden – könne man neuen Knorpel an defekten Knorpelstellen wachsen lassen.
Prof. Pässler und der Patient betrachten das Video des Eingriffs. Der Heidelberger Orthopäde wundert sich darüber, wie »großzügig« sein Münchener Kollege intaktes Knorpelgewebe entfernt, um an den darunterliegenden Knochen zu gelangen. Dann wird mit der Fräse die Oberfläche des Knochens »aufgeraut«. Das Ziel sei, dass mit dem Blut Stammzellen aus dem Knochen in das Gelenk gelangten, die an den defekten Stellen Ersatzknorpel wachsen lassen. Aber in dem Alter, in dem sich der Patient befinde, so Prof. Pässler, könne man nicht erwarten, dass sich so ein belastbarer Knorpel bilde. Tatsächlich zeigten die aktuellen Kernspinaufnahmen, dass die Knochenflächen noch genauso blank lagen, wie sie ihm der Münchener Orthopäde sieben Monate zuvor freigefräst hatte. Der Patient hatte durch den Eingriff Knorpelgewebe verloren, nicht hinzubekommen. 17 000 Euro sind ein stolzer Preis für eine sinnlose und schädliche Maßnahme und einen Eingriff, der eine knappe Viertelstunde gedauert hat.
Orthopäden – Könige der Nonsenschirurgie
Warum werden gerade in der Orthopädie so viele Nonsenseingriffe vorgenommen? Ich habe einige Thesen dazu, die ich nicht beweisen kann. Ich hatte beim Betrachten der Videos und auch bei den Operationen, bei denen ich dabei sein durfte, immer das Gefühl: Die Orthopäden sind besonders leidenschaftliche Handwerker. Die machen das einfach gerne: Das ist ein sehr mechanisches Geschäft. Bänder, Knorpel, Knochen. Aus materialwissenschaftlicher Sicht High-End-Baustoffe, mit denen man das Skelett und den Bewegungsapparat der Patienten überarbeitet. Eine Bastelei auf hohem Niveau: Wirbelkörper versteifen, Prothesen einbauen, Knorpel abschleifen. Eine befriedigende Tätigkeit, deren Ergebnis meist unmittelbar nach dem Eingriff feststeht. Die orthopädischen Chirurgen lieben ihr Geschäft!
Ein zweiter Grund, warum gerade in dieser Disziplin die Quacksalberei so fröhliche Urstände feiert, ist nach meiner Vermutung folgender: Es ist schwer, mit orthopädischer Chirurgie Patienten umzubringen. Ernsthaft! Viele andere chirurgische Eingriffe sind mit einem erheblich höheren Risiko behaftet. Da liegt die Hemmschwelle höher. Für einen überflüssigen, nur wirtschaftlich motivierten Eingriff das Leben meiner Patienten zu riskieren, das erfordert ein extremes Maß an krimineller Energie. Ich denke, die relative Ungefährlichkeit der meisten Eingriffe der orthopädischen Chirurgie fördert eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit den Patienten. Wenn sich ein Wirbelsäulenchirurg sehr dumm anstellt, landet sein Patient im Rollstuhl. Das ist zweifellos bitter. Doch diese Fälle dürften vergleichsweise selten sein. Meist geht es um Schmerzen. Die Patienten haben einen hohen Leidensdruck und relativ oft haben sie subjektiv den Eindruck, dass sie von dem Eingriff profitieren.
Der Placeboeffekt spielt hier – wie die Moseley-Studie zur Knorpelglättung zeigt – eine große Rolle. Es gibt auch Hinweise, dass bei Operationen unter Vollnarkose allein schon die vollkommene Entspannung des Körpers – gerade bei Wirbelsäulenproblemen – Erleichterung bringt. Bei vielen Eingriffen besteht also nur eine geringe Gefahr, dass etwas ernsthaft schiefgeht. Dennoch bekommt der Chirurg häufig positives Feedback – Dankbarkeit – von seinen Patienten. Dadurch halten sich die orthopädischen Chirurgen für tüchtiger und für erfolgreicher, als sie es – medizinisch streng genommen – sind. Und wenn die Operation nichts bringt, finden sich die meisten Patienten duldsam mit ihrem Schicksal ab: »Schmerzen in den Gelenken: Das ist halt eine vertrackte Sache. Manchmal kann man eben nix machen …« Eine komfortable Situation für unsere bastelfreudigen Mediziner.
Der schon zum Eingang dieses Kapitels erwähnte Arzt und Kabarettist Dr. Eckart von Hirschhausen nimmt in seinem Programm Die Glückssprechstunde immer wieder die Orthopäden kritisch aufs Korn. Am Ende erklärt er versöhnlich: »Und sollte ich einen
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