Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Mal zu diesem Thema recherchierte. »Ein hochemotionales Thema, überlegen Sie mal: eine junge Mutter mit Brustkrebs …«
Petra
Ich wollte einen Beitrag machen, in dem ein Krebspatient »die Hauptrolle spielen« sollte, der sich bewusst gegen eine Chemotherapie entschieden hatte. Einfach, weil er sich über den zu erwartenden »Benefit« und die zu erwartenden negativen Nebenwirkungen der Therapie in seiner Situation informiert hatte. Dazu postete ich in zwei Krebsforen eine entsprechende Anfrage und bekam mehrere Antworten. Darunter auch viele Ermunterungen wie »Wir finden es gut, dass Sie sich darum kümmern. Das ist ein wichtiges Thema«. Und ich fand die perfekte Patientin. Petra (Name geändert). Sie war unter anderem deshalb perfekt, weil sie Krankenschwester war. Sie kannte ihre Chancen, sprach ganz abgeklärt darüber, und sie kannte die Chemotherapie. Fünfeinhalb Jahre zuvor war sie an einem früh erkannten Eileiterkrebs operiert worden. Anschließend hatte sie zusätzlich die Chemo bekommen. Zur Sicherheit. Wie viel diese Giftdusche in ihrem Fall zu ihrer relativ langen beschwerdefreien Zeit beigetragen hatte, lässt sich nicht sagen. Ein Jahr bevor ich nach einem Drehpartner für mein Stück suchte, war der Krebs bei ihr wieder entdeckt worden. Wie es bei einem Rezidiv (einer wiederkehrenden Krebserkrankung) leider häufig der Fall ist, war der Tumor aggressiv. Petra hatte Metastasen im ganzen Unterleib.
Petra und ich waren von ihrer ersten E-Mail an per Du. Sie schrieb, in ihrer Situation habe sie keine Lust mehr, Zeit mit Floskeln zu verschwenden oder Hürden zwischen Menschen aufzubauen. Und sie sagte, sie habe eigentlich keine Chemo mehr machen wollen, weil die Aussichten auf Hilfe durch das Gift bei einem Rezidiv in ihrem Fall so gering seien. Aber dann habe sie ihre Meinung doch geändert. Prinzip Hoffnung.
»Ich habe mich umentschieden, dann dennoch eine Chemotherapie zu machen. Und mit den Nebenwirkungen, die ich hatte, kann ich eigentlich die Hälfte der Zeit streichen. Ich habe im Bett gelegen, konnte wirklich nur vom Bett bis zur Toilette gehen. Ich hatte Gliederschmerzen, unruhige Beine, die Beine haben so gezappelt. Und ich hatte wahnsinnige Schmerzen in den Beinen. Also, das sind Schmerzen, die sind unbeschreiblich.«
Wegen der Nebenwirkungen die Hälfte der Zeit streichen
Wir vereinbaren, uns für die Dreharbeiten in der Nähe von Braunschweig in einem Pferdestall zu treffen, in dem sie sich um ihre Stute kümmert. Jeder Handgriff ist eine körperliche Anstrengung für die Anfang Fünfzigjährige. Sie erklimmt den Sattel mithilfe eines Schemels. »Na ja, reiten kann man das eigentlich nicht nennen«, sagt sie mit einem Lächeln, als sie sich mit ihrem Pferd in Bewegung setzt. Ich hatte im Internet recherchiert, dass es noch nicht so lange her war, dass sie Turniere geritten war. Um ein Pferd da zu dirigieren, braucht man Kraft und Körperbeherrschung. In ihrem jetzigen Zustand kann sich Petra nur von ihrem Pferd durch die Gegend tragen lassen. Die kranke Krankenschwester ist sich sicher: Eine weitere Chemotherapie wird sie nicht machen. »Die Frage ist auch, ob mir ein Monat länger überleben, ob mir das wichtiger ist als die Lebensqualität. Also, für mich ist es eher sinnvoll, den Tagen Leben zu geben als dem Leben Tage.«
Das ist die zentrale Frage, die über der Chemotherapie der metastasierten soliden Organkrebse steht, denn oft ist der Nutzen nur marginal, wenn man auf die gewonnene Lebenszeit schaut. Wie sind die zum Teil schweren Nebenwirkungen zu bewerten? Und wie sind die Kosten zu bewerten? Wir thematisieren das hier. Auch wenn viele Mediziner, die mit diesen zum Teil extrem teuren Chemotherapien deutlich mehr als nur »ihr Brot« verdienen, meinen, es sei unethisch, bei diesem Thema über Geld zu sprechen. Ich finde, das Gegenteil ist richtig: Angesichts der chronisch knappen Kassen im Gesundheitssystem und des oft ans Aberwitzige grenzenden »Preis-Leistungs-Verhältnisses« von (vor allem den neuesten, sogenannten zielgerichteten) Chemotherapien ist es unethisch, nicht darüber zu sprechen. Außerdem ermuntert diese Blindheit auf dem ökonomischen Auge ganz offensichtlich die Hersteller zu einer Preisgestaltung, die einem Raubüberfall gleichkommt. Einige Beispiele dazu:
Das Präparat Erbitux zur Behandlung des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms bewirkt im Durchschnitt eine Lebensverlängerung von 1,2 Monaten. Der Hersteller lässt sich die Substanz nicht in Gold
Weitere Kostenlose Bücher