Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Orthopäden hier im Publikum beleidigt haben, dann möchte ich mich auch dafür noch einmal entschuldigen. Es ist nicht fair, wenn 95 Prozent der Orthopäden allen anderen so einen schlechten Ruf eintragen.« Die Zahl mag übertrieben sein. Der Anlass für diese spitze Bemerkung ist leider alles andere als witzig.
Nachtrag: Erpressung durch Orthopäden
In dem ZDF-Magazin frontal 21 (3. 7. 2012) berichtet der Manager einer orthopädischen Klinik, dass er von den niedergelassenen Orthopäden, die in seinem Krankenhaus als Honorarärzte operieren, erpresst werde. Honorarärzte haben in ihrer Praxis keine Einrichtung, um Operationen vornehmen zu können. Deshalb mieten sie sich Operationssäle in Kliniken. Dafür gibt es in der Gebührenordnung festgelegte Preise. Doch offenbar sehen die niedergelassenen Orthopäden hier einen »Verhandlungsspielraum«. Ihr Druckmittel: Überweisungen. Schließlich verteilen sie die Patienten, die die Einnahmequelle für die Kliniken darstellen. In frontal 21 erklärt der Krankenhausmanager: »Diese Honorarärzte erpressen uns Krankenhäuser: ›Entweder ihr macht mit uns einen lukrativen Vertrag, sodass wir neben unserer Praxis richtig Geld verdienen können, oder ich schicke euch keine Patienten mehr.‹ Regelmäßig werde ich so unter Druck gesetzt. Es gibt keinen Orthopäden im Umkreis von 100 Kilometern, der deshalb noch nicht auf mich zugekommen ist.« Zwischen 1000 und 1800 Euro verlangten die Orthopäden von der Vergütung für die Operation für sich. Das ist weit mehr als die etwa 700 Euro, die ihnen nach der Gebührenordnung für den Eingriff zustünden, erklärt der Krankenhausmanager. Er ist richtig böse auf die Niedergelassenen: »Ich glaube, die kriegen alle den Hals nicht voll. Dahinter steckt nichts anderes als Geldgier.«
Wer jetzt denkt: »Na ja, solange die Mediziner sich gegenseitig das Honorar abjagen, kann mir das eigentlich egal sein«, vertraut darauf, dass diese Operationen medizinisch erforderlich sind und so oder so durchgeführt werden müssten. Doch genau das ist häufig nicht der Fall. Dieser ungeheure Skandal wird deutlich, als der Krankenhausmanager in dem frontal-21 -Beitrag weiterspricht: »Es ist ein perfide funktionierendes System. Jeder kennt es. Nur die Patienten nicht. Dabei ist es Körperverletzung am Patienten. Gerade bei jenen, die noch gar kein künstliches Gelenk brauchen. In der Szene sagt man dazu: ›Nichts lässt sich besser operieren als ein gesundes Gelenk.‹«
Das Einsetzen eines Hüftgelenks ist kein kleiner Eingriff. Ich war zweimal mit einem Kamerateam mit dabei. Da fließt richtig Blut. Gewebe wird traumatisiert. Und es besteht immer die Gefahr einer ernsthaften Komplikation. Beispielsweise einer Embolie durch ein Blutgerinnsel. Nach einer Studie von 2009 besteht bei diesen Eingriffen eine Sterblichkeit von 0,13 Prozent in den ersten 30 Tagen nach der Operation. Außerdem wartet man mit dem Einsetzen der Prothesen in der Biografie eines Patienten möglichst lange, weil für das Implantat immer intaktes Knochenmaterial geopfert wird. So steht für das Verankern zukünftiger Prothesen weniger Material zur Verfügung. Diese Patienten aus wirtschaftlichen Interessen zu operieren ist ein wahres Highlight an Gewissenlosigkeit und Zynismus.
Chemotherapie: Geschäfte mit der Hoffnung
Wie lässt sich der Nutzen von Chemotherapien bewerten?
Jetzt wird’s schwer! Denn nun geht es nicht mehr nur um die Wirksamkeit oder Wirkungslosigkeit von Medikamenten. Nicht nur um schamlose Bereicherung am Leid Hunderttausender Menschen. Nicht nur um die unheilige Allianz zwischen Ärzten und Industrie, die unser Gesundheitssystem so teuer zu stehen kommt. Es geht hier für die betroffenen Patienten und Patientinnen unmittelbar um Leben und Tod. Das unterscheidet dieses Kapitel von allen vorigen in diesem Buch. Es geht um die Chemotherapie bei fortgeschrittenem, metastasiertem Krebs. Brust, Darm, Lunge, Bauchspeicheldrüse: Wenn diese Organe betroffen sind, kann die Chemotherapie nicht heilen. Aber sie kann manchmal das Leben verlängern. Wenn das gelingt, ist es meist nicht sehr viel Zeit, die gewonnen wird. Aber wer will sich anmaßen, diese Zeit zu bewerten? Ihr – seien es Wochen oder Monate – etwa die Zigtausende Euro gegenüberstellen, die aus den Kassen des Gesundheitssystems zur Rettung dieser Lebenszeit abgezogen werden? »Sie werden doch in diesem Zusammenhang nicht über Geld sprechen wollen?«, sagte mir ein Onkologe, als ich das erste
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