Die weiße Mafia: Wie Ärzte und die Pharmaindustrie unsere Gesundheit aufs Spiel setzen (German Edition)
Hausarzt nicht erkannte Krankheit. Zumal es nur ganz wenige Krankheiten gibt, die sich in zwei Monaten des Abwartens bis zum erneuten Aufsuchen der Praxis so verschlimmert haben, dass die Behandlung dadurch schwieriger wird.
Antreten beim Gynäkologen
Noch einmal ein Vergleich mit Norwegen, der zeigt, wie der »Lieber einmal zu oft«-Ansatz bei uns mit dafür verantwortlich ist, dass wir so eine absurd hohe Zahl von Arztkontakten haben: In Norwegen tritt Gebärmutterhalskrebs etwa so häufig auf wie in Deutschland. Dennoch bestellen norwegische Frauenärzte ihre Kundinnen nur alle drei Jahre zur Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs in ihre Praxis. Ist nichts auffällig, müssen sie sogar nur alle fünf Jahre zur Vorsorge – zum sogenannten Pap-Test – kommen. Deutsche Frauen sollen im Gegensatz dazu jährlich beim Gynäkologen zum Pap-Test antreten. Dabei haben wissenschaftliche Studien längst belegt, dass das ein Fall von Überdiagnose ist, der zur Überbehandlung führt.
Ich möchte dazu aus einer deutschen Studie zitieren, die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information – und damit letztlich vom Gesundheitsministerium – in Auftrag gegeben wurde. Ziel war genau das: die Frage nach einem sinnvollen Intervall für die Vorsorgeuntersuchung zur Früherkennung von Gebärmutterkrebs zu beantworten. Ein Team von Wissenschaftlern sichtete die internationale Studienlage zu diesem Thema und kam zu einem klaren Urteil: »Unabhängig von den verschiedenen nationalen Bevölkerungen und Annahmen in zahlreichen Modellrechnungen wird ein Screeningintervall von einem Jahr übereinstimmend als sehr ineffizient betrachtet. Die zwei Hauptgründe für die hohe Ineffizienz sind die hohen Kosten durch die große Anzahl der erforderlichen Screeningtests und die Kosten der Behandlung von entdeckten Dysplasien, die vor dem nächsten Screening verschwunden wären, würde ein längeres Screeningintervall angewendet werden.« 77
Leitlinien ertragsmaximierend formuliert
Haben Sie das gelesen? Beim einjährigen Untersuchungsintervall werden Dysplasien – Krebsvorstufen – entdeckt und behandelt, die sich von allein wieder zurückgebildet hätten. Wie clever, dass sich die Gynäkologen in Deutschland diese flüchtigen Tumorvorstufen nicht durch die Maschen schlüpfen lassen. Viele Gynäkologen haben von der wissenschaftlichen Studienlage allerdings auch gar keine Ahnung. Sie folgen einfach den Leitlinien ihrer Fachgesellschaft und fahren damit in der Regel finanziell sehr gut. In diesem Fall ist das die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe DGGG. Die DGGG sorgt gut für sich und ihre Mitglieder. Das von der DGGG empfohlene einjährige Untersuchungsintervall für die Gebärmutterhalskrebs-Früherkennung ist ein schönes Beispiel dafür, wie eine medizinische Fachgesellschaft wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert und ihre Leitlinien lieber ertragsmaximierend formuliert. Und nicht mit Blick auf das Wohl ihrer Patientinnen.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich beim einjährigen Untersuchungsintervall über 55 Prozent sogenannte falsch positive Ergebnisse einstellen. Dazu gehören die Dysplasien, Krebsvorstufen, die sich von allein wieder zurückentwickeln. Beim fünfjährigen Intervall sind es nur 15 Prozent. Falsch positiv bedeutet, dass den Frauen erklärt wird, dass sie wahrscheinlich eine Vorstufe des Gebärmutterhalskrebses oder schon eine manifeste Krebskrankheit haben. Obwohl es nicht der Fall ist. Das versetzt nicht nur viele Frauen unnötig in Todesangst, sondern bedeutet auch weitere Untersuchungen zur »Abklärung«, die der Gynäkologe durchführen und abrechnen kann. Ein perfektes System der Ertragsmaximierung durch Überdiagnose. Wir erinnern uns an den PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs
In den Empfehlungen und Informationsbroschüren zum Pap-Test können Sie überall Sätze wie diesen lesen: »Den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe folgend haben die Frauen in Deutschland ein Anrecht auf eine jährliche Zervixkarzinom-Früherkennung als Kassenleistung.« Das hört sich so nobel an. Haben wir es gut hier! So eine gute Versorgung mit Vorsorge. Und es ist sogar eine Kassenleistung. Der Eindruck ist doppelt falsch. Erstens sind hier nicht die Frauen gut versorgt, sondern die Frauenärzte. Und zweitens ist die Kassenleistung ja nichts, was wir umsonst bekommen. Schließlich bezahlen wir jeden Monat Hunderte Euro in die
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