Die Weisse Massai
Täglich treffe ich am Strand auf Krieger, und die Geschichten nehmen kein Ende. Einer berichtet sogar, Lketinga sei »crazy« und nach Hause gebracht worden. Dort habe er ein junges Mädchen geheiratet und komme nicht mehr nach Mombasa. Wenn ich Trost brauche, sei er immer für mich da. Mein Gott, lassen die mich denn nie in Ruhe? Ich komme mir langsam wie ein verlorenes Reh unter Löwen vor. Jeder will mich fressen!
Abends erzähle ich Priscilla von den neuesten Gerüchten und Belästigungen. Sie meint, das sei normal. Ich sei drei Wochen hier allein ohne Mann, und normalerweise machen diese Leute die Erfahrung, daß eine weiße Frau nie lange allein bleibt. Dann erzählt mir Priscilla von zwei weißen Frauen, die schon länger in Kenia wohnen und nahezu jedem Massai nachlaufen. Einerseits bin ich schockiert, andererseits erstaunt zu hören, daß noch andere weiße Frauen hier sind und sogar Deutsch sprechen. Diese Mitteilung weckt meine Neugier. Priscilla zeigt auf ein anderes Häuschen im Village und erklärt: »Dies gehört Jutta, einer Deutschen. Sie ist irgendwo im Samburu-District und arbeitet im Moment für ein Touristen-Camp, will aber in den nächsten zwei oder drei Wochen wieder kurz hierherkommen.« Ich bin neugierig auf diese geheimnisvolle Jutta.
Währenddessen wiederholen sich die verbalen Annäherungsversuche, so daß ich mich wirklich nicht mehr wohl fühle. Eine alleinstehende Frau scheint Freiwild zu sein. Auch Priscilla kann oder will sich dagegen nicht richtig durchsetzen. Wenn ich ihr etwas erzähle, lacht sie manchmal kindisch, was ich nicht begreifen kann.
Meine Reise mit Priscilla
Eines Tages macht sie mir den Vorschlag, mit ihr für zwei Wochen in ihr Dorf zu fahren, um ihre Mutter und ihre fünf Kinder zu besuchen. Erstaunt frage ich: »Was, du hast fünf Kinder, wo leben die denn?« »Bei meiner Mutter oder manchmal auch bei meinem Bruder«, sagt sie. Sie lebe an der Küste, um durch Schmuckverkauf Geld zu verdienen, und bringe dies zweimal im Jahr nach Hause. Ihr Mann wohne schon lange nicht mehr mit ihr zusammen. Wieder einmal staune ich über die afrikanischen Verhältnisse.
Bis wir zurück sind, ist vielleicht Jutta hier, denke ich und willige ein. Durch die Reise könnte ich auch dem Ansturm der verschiedenen Massai entkommen! Priscilla freut sich riesig, da sie noch nie eine Weiße mit nach Hause gebracht hat.
Kurz entschlossen reisen wir am nächsten Tag ab. Esther bleibt und versorgt das Häuschen. In Mombasa kauft Priscilla verschiedene Schuluniformen, die sie ihren Kindern mitbringen will. Ich habe nur den kleinen Rucksack dabei, in dem sich etwas Unterwäsche, Pullover, drei T-Shirts und Jeans zum Wechseln befinden. Wir kaufen unsere Tickets und haben bis zur Busabfahrt am Abend noch viel Zeit. Deshalb gehe ich in einen Coiffeursalon und lasse mir die Haare zu afrikanischen Zöpfchen flechten. Diese Prozedur dauert fast drei Stunden und ist sehr schmerzhaft. Doch scheint es mir zum Reisen praktischer zu sein.
Lange vor der Abfahrt drängeln sich bereits Dutzende von Menschen um den Bus, der zuerst auf dem Dach mit allen möglichen Reiseutensilien beladen wird. Als wir abfahren, ist es stockfinster, und Priscilla schlägt vor zu schlafen. Bis Nairobi seien es sicher neun Stunden, dann müßten wir umsteigen und nochmal fast viereinhalb Stunden bis Narok durchhalten.
Während der langen Fahrt weiß ich bald nicht mehr, wie ich sitzen soll und bin erleichtert, als wir schließlich ankommen. Nun folgt ein langer Fußmarsch. Leicht ansteigend geht es fast zwei Stunden durch Felder, Wiesen, ja sogar Tannenwälder. Landschaftlich gesehen könnte man meinen, wir seien in der Schweiz, weit und breit nur Grün und keine Menschen.
Endlich sichte ich weit oben Rauch und erkenne einige verfallene Holzbaracken. »Wir sind gleich da«, sagt Priscilla und erklärt mir, daß sie für ihren Vater noch einen Kasten Bier besorgen müsse, dies sei das Geschenk für ihn. Ich staune nicht schlecht, als sie diesen auch noch auf dem Kopf nach oben schleppt. Ich bin gespannt, wie diese Massai leben, denn Priscilla hat mir erzählt, sie seien wohlhabender als die Samburus, von denen Lketinga abstammt.
Oben angekommen gibt es ein großes Hallo. Alle stürzen herbei, begrüßen Priscilla, bleiben dann aber abrupt stehen und schauen mich schweigend an. Priscilla scheint allen zu erzählen, daß wir Freundinnen sind. Als erstes müssen wir in das Haus ihres Bruders, der etwas Englisch spricht. Die
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