Die Weisse Massai
alles zu regeln und Lketinga besser kennenzulernen. Mein Englisch habe ich verbessern können, außerdem habe ich gute Bücher mit Bildern zum Lernen im Gepäck. In fünfzehn Stunden bin ich in meiner neuen Heimat. Mit diesen Gedanken steige ich ins Flugzeug, lehne mich ins Polster und sauge noch einmal die letzten Eindrücke von der Schweiz durch das Guckloch ein. Wann ich wiederkomme, ist ungewiß. Ich leiste mir zum Abschied und zum Neuanfang Champagner und weiß bald nicht mehr, ob ich lachen oder weinen soll.
In der neuen Heimat
Vom Flughafen Mombasa kann ich mit einem Hotelbus bis zum Africa-Sea-Lodge mitfahren, obwohl ich kein Hotel gebucht habe. Priscilla und Lketinga sollten informiert sein, wann ich dort bin. Ich bin furchtbar durcheinander. Was ist, wenn niemand kommt? Am Hotel angekommen, habe ich keine Zeit mehr nachzudenken. Ich schaue mich um und sehe niemanden, der mich empfängt. Nun stehe ich da mit der schweren Tasche, meine Spannung löst sich langsam und macht einer großen Enttäuschung Platz. Doch plötzlich höre ich meinen Namen, und als ich den Weg hinaufschaue, stürmt Priscilla mit ihrem wogenden Busen auf mich zu. Vor Erleichterung und Freude schießen mir Tränen in die Augen.
Wir fallen uns um den Hals, und natürlich muß ich fragen, wo Lketinga ist. Ihr Gesicht wird finster, sie schaut mich nicht an, als sie sagt: »Corinne, please, I don't know, where he is!« Seit damals, vor mehr als zwei Monaten, habe sie ihn nicht mehr gesehen. Es werde viel erzählt, aber sie wisse nicht, was davon wahr sei. Ich will alles erfahren, aber Priscilla meint, wir sollten zuerst zum Village gehen. Ich lade ihr die schwere Tasche auf den Kopf und nehme mein Handgepäck. So machen wir uns auf den Weg.
Mein Gott, was wird aus meinen Träumen vom großen Glück und der Liebe, denke ich. Wo ist nur Lketinga? Ich kann nicht glauben, daß er alles vergessen haben soll. Im Village treffe ich auf eine weitere Frau, eine Muslimin. Priscilla stellt sie mir als eine Freundin vor und erklärt, momentan müßten wir zu dritt in ihrer Behausung leben, da diese Frau nicht mehr zu ihrem Mann zurückgehen will. Das Häuschen ist zwar nicht sehr groß, aber fürs erste wird es schon reichen.
Wir trinken Tee, doch mir lassen die ungeklärten Fragen keine Ruhe. Wieder frage ich nach meinem Massai. Priscilla erzählt zögernd, was sie gehört hat. Einer seiner Kollegen erzähle, er sei nach Hause gefahren. Da er so lange keine Briefe von mir erhielt, wurde er krank. »Was?« entgegne ich aufgebracht. »Ich habe mindestens fünfmal geschrieben.« Jetzt schaut auch Priscilla etwas überrascht. »Ja, wohin denn?« will sie wissen. Ich zeige ihr die P.O. Box-Adresse an der Nordküste. Dann, so meint sie, sei es kein Wunder, wenn Lketinga diese Briefe nicht bekommen habe. Diese Box gehöre allen Massai an der Nordküste, und jeder könne herausnehmen, was er will. Da Lketinga nicht lesen kann, habe man ihm die Briefe wahrscheinlich unterschlagen.
Ich kann kaum glauben, was Priscilla mir erzählt: »Ich dachte, alle Massai sind Freunde oder fast wie Brüder, wer soll denn so etwas machen?« Da erfahre ich zum ersten Mal von der Mißgunst unter den Kriegern hier an der Küste. Als ich vor drei Monaten wegging, hätten einige der Männer, die schon lange an der Küste leben, Lketinga gehänselt und aufgestachelt: »So eine Frau, so jung und hübsch, mit viel Geld, wird sicher nicht mehr nach Kenia zurückkommen wegen eines schwarzen Mannes, der nichts besitzt.« Und so, erzählt Priscilla weiter, habe er, der noch nicht lange hier lebe, wahrscheinlich den anderen geglaubt, weil er keine Briefe erhielt.
Neugierig frage ich Priscilla, wo denn sein Zuhause sei. Sie weiß es nicht genau, aber irgendwo im Samburu-District, etwa eine dreitägige Reise von hier entfernt. Ich solle mir keine Gedanken machen, ich sei jetzt gut angekommen, und sie werde versuchen, jemanden zu finden, der in absehbarer Zeit dorthin fährt und eine Nachricht überbringen kann. »Mit der Zeit erfahren wir schon, was los ist. Pole, pole«, sagt sie, was soviel heißt wie »langsam, langsam«. »Du bist jetzt in Kenia, da brauchst du viel Zeit und Geduld.«
Die beiden Frauen umsorgen mich wie ein Kind. Wir reden viel miteinander, und Esther, die Moslemfrau, erzählt von ihrem Leidensweg mit ihrem Ehemann. Sie warnen mich davor, jemals einen Afrikaner zu heiraten. Sie seien nicht treu und behandelten die Frauen schlecht. Mein Lketinga ist anders, denke
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