Die Weisse Massai
Behausungen sind größer als unser Village-Haus und haben drei Räume. Aber alles ist schmutzig und verrußt, weil auf Holzfeuer gekocht wird und überall Hühner, junge Hunde und Katzen umherspringen. Wohin man sieht, tummeln sich Kinder jeden Alters, von denen die größeren die nächst kleineren im Tragetuch auf dem Rücken schleppen. Die ersten Geschenke werden verteilt.
Die Menschen hier sehen nicht mehr sehr traditionell aus. Sie tragen normale Kleidung und leben ein geregeltes Bauernleben. Als die Ziegen nach Hause kommen, muß ich als Gast für unser Willkommens-Essen eine aussuchen. Ich bringe es nicht über mich, ein Todesurteil zu fällen, aber Priscilla belehrt mich, daß dies üblich und mit großer Ehre verbunden sei. Wahrscheinlich werde ich das täglich auch bei den folgenden Besuchen machen müssen. Also zeige ich auf eine weiße Ziege, die sofort eingefangen wird. Von zwei Männern wird das arme Tier erstickt. Um das Gezappel nicht länger mit ansehen zu müssen, wende ich mich ab. Es wird bereits dunkel und kühl. Wir gehen ins Haus und setzen uns ans Feuer, das auf dem Lehmboden in einem der Räume brennt.
Wo die Ziege gekocht oder gebraten wird, weiß ich nicht. Um so überraschter bin ich, als mir ein ganzes Vorderbein und dazu ein riesiges Buschmesser gereicht werden. Priscilla bekommt das andere Bein. »Priscilla«, sage ich, »ich habe nicht soviel Hunger, ich kann das unmöglich alles essen!« Sie lacht und meint, den Rest nehmen wir mit und essen morgen weiter. Die Vorstellung, zum Frühstück bereits wieder an diesem Bein knabbern zu müssen, behagt mir nicht. Aber ich bewahre Haltung und esse wenigstens etwas, wobei ich allerdings wegen meines geringen Hungers bald ausgelacht werde.
Da ich hundemüde bin und mein Rücken extrem schmerzt, möchte ich wissen, wo wir schlafen können. Wir bekommen eine schmale Pritsche, auf der wir zu zweit schlafen sollen. Wasser zum Waschen ist weit und breit nicht zu sehen, und ohne Feuer ist es im Raum enorm kalt. Zum Schlafen ziehe ich mir den Pulli und eine dünne Jacke an. Ich bin sogar froh, daß Priscilla sich neben mich quetscht, denn so ist es etwas wärmer. Mitten in der Nacht erwache ich, spüre ein Jucken und merke, daß diverse Tierchen an mir hoch- und runterkriechen. Ich möchte von der Pritsche springen, aber es ist stockfinster und bitterkalt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als so bis zum Morgen zu verharren. Beim ersten Lichtstrahl wecke ich Priscilla und zeige ihr meine Beine. Sie sind übersät mit roten Bißwunden, wahrscheinlich von Flöhen. Viel ändern können wir nicht, denn Kleider zum Wechseln habe ich nicht. Ich möchte mich wenigstens waschen, aber als ich nach draußen gehe, bin ich verblüfft. Das ganze Gebiet ist in Nebel gehüllt, und Reif liegt auf den saftigen Wiesen. Man könnte meinen, bei einem Bauern im Jura zu sein.
Heute ziehen wir weiter, um Priscillas Mutter und ihre Kinder zu besuchen. Wir marschieren über Hügel und Felder und treffen ab und zu Kinder oder ältere Menschen. Während die Kinder Abstand zu mir wahren, möchten mich die meisten älteren Leute, vorwiegend Frauen, berühren. Einige halten lange meine Hand und murmeln etwas, was ich natürlich nicht verstehe. Priscilla sagt, die meisten dieser Frauen hätten noch nie eine Weiße gesehen, geschweige denn berührt. So kommt es vor, daß während des Händedrückens noch darauf gespuckt wird, was eine besondere Ehre sein soll.
Nach etwa drei Stunden erreichen wir die Hütte, in der Priscillas Mutter lebt. Sofort stürzen uns Kinder entgegen und kleben an Priscilla. Ihre Mutter, noch rundlicher als Priscilla, sitzt am Boden und wäscht Kleider. Die beiden haben sich natürlich viel zu erzählen, und ich versuche wenigstens, einen Teil zu erahnen.
Diese Hütte ist die bescheidenste, die ich bisher gesehen habe. Sie ist ebenfalls rund und mit diversen Brettern, Tüchern und Plastik zusammengeflickt. Im Inneren kann ich kaum stehen, und die Feuerstelle in der Mitte erfüllt den Raum mit beißendem Rauch. Ein Fenster gibt es nicht. Deshalb nehme ich den Tee im Freien ein, weil mir sonst laufend die Tränen herunterrollen und die Augen schmerzen. Etwas beunruhigt frage ich Priscilla, ob wir hier nächtigen müssen. Sie lacht: »No, Corinne, ein anderer Bruder wohnt etwa eine halbe Stunde entfernt in einem größeren Häuschen. Da werden wir übernachten. Hier ist kein Platz, weil hier alle Kinder schlafen, und mehr als Milch und Mais gibt es nicht
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