Die Weisse Massai
fest. Nun müssen alle aussteigen. Kaum habe ich den Bus verlassen, stecke ich bis zu den Knöcheln im Schlamm. Wir stehen auf einer erhöhten Wiese und beobachten die vergeblichen Bemühungen. Viele, auch ich, schlagen Äste von den Büschen, die dann unter die Räder geschoben werden. Aber es nützt alles nichts. Der Bus steht immer noch quer. Einige packen ihre Habseligkeiten und gehen zu Fuß weiter. Ich frage den Fahrer, was jetzt passiert. Er zuckt mit den Schultern und meint, wir müßten bis morgen warten. Vielleicht höre es auf zu regnen, dann trockne die Straße schnell. Verzweifelt stecke ich wieder einmal mitten im Busch fest ohne Wasser und Eßwaren, nur mit Puddingpulver, das mir nichts nützt. Es wird schnell kalt, und ich friere in meinen nassen Sachen. Ich begebe mich wieder zu meinem Sitz. Wenigstens habe ich eine warme Wolldecke bei mir. Falls Lketinga die Nachricht überhaupt bekommen hat, wartet er jetzt vergebens in Maralal.
Vereinzelt packen die Leute Eßbares aus. Jeder, der etwas hat, teilt es mit seinen Nachbarn. Auch mir werden Brot und Früchte angeboten. Ich nehme dankend, aber beschämt an, denn ich habe nichts anzubieten, obwohl ich am meisten Gepäck dabei habe. Alle richten sich im Sitzen zum Schlafen ein, so gut es geht. Die wenigen freien Plätze gehören den Frauen mit Kindern. In der Nacht kommt nur noch ein Landrover vorbei, der jedoch nicht hält.
Um etwa vier Uhr morgens ist es so kalt, daß der Chauffeur für fast eine Stunde den Motor laufen läßt, um zu heizen. Die Zeit schleicht dahin. Langsam färbt sich der Himmel rötlich, und die Sonne zeigt sich zögernd. Es ist kurz nach sechs. Die ersten verlassen den Bus, um ihre Notdurft hinter den Büschen zu verrichten. Auch ich steige aus und strecke meine steifen Glieder. Vor dem Bus ist es genauso schlammig wie tags zuvor. Wir müssen warten, bis die Sonne richtig scheint, dann wollen wir es nochmal probieren. Von zehn Uhr bis mittags wird geschoben und versucht, den Bus aus dem Graben zu fahren. Doch weiter als dreißig Meter kommt er nicht. Eine weitere Nacht hier draußen wäre schrecklich.
Plötzlich sehe ich einen weißen Landrover, der sich durch den Morast schlängelt und teils neben der Straße fährt. In meiner Verzweiflung renne ich auf den Wagen zu und stoppe ihn. In ihm sitzt ein älteres, englisches Paar. Ich erkläre kurz meine Situation und flehe die Leute an, mich mitzunehmen. Die Frau willigt sofort ein. Freudig springe ich zum Bus und lasse mir meine Tasche herunterholen. Im Landrover hört sich die Lady entsetzt meine Geschichte an. Mitleidig hält sie mir ein Sandwich hin, das ich gierig verzehre.
Wir sind noch keinen Kilometer gefahren, als uns ein grauer Landrover entgegenkommt. Jetzt gilt es, höllisch aufzupassen, daß keiner der Wagen ins Schlängeln kommt, da die Straße sehr schmal ist. Wir fahren langsam, und der andere Wagen kommt schnell näher. Als er noch zwanzig Meter von uns entfernt ist, glaube ich, eine Fata Morgana zu sehen. »Stop, please, stop your car, this is my boyfriend!« Am Steuer des Wagens sitzt Lketinga und fährt auf dieser Horrorstraße.
Wie verrückt winke ich aus dem Fenster, um auf mich aufmerksam zu machen, da Lketinga nur starr auf die Straße blickt. Ich weiß nicht, was größer ist: Meine riesige Freude und der Stolz auf ihn oder die Angst, wie er den Wagen zum Stehen bringen wird. Jetzt erkennt er mich und lacht uns stolz durch die Scheiben an. Nach etwa zwanzig Metern steht der Wagen. Ich stürze hinaus und renne zu Lketinga. Unser Wiedersehen ist phantastisch. Er hat sich besonders schön bemalt und geschmückt. Ich kann meine Freudentränen kaum zurückhalten. Er hat zwei Begleiter bei sich und gibt mir freiwillig die Schlüssel, jetzt solle lieber ich zurückfahren. Wir holen mein Gepäck und laden um. Ich bedanke mich bei meinen Gastgebern, und der Engländer meint, jetzt verstehe er, bei so einem schönen Mann, warum ich hier sei.
Während der Rückfahrt erzählt Lketinga, daß er auf den Bus gewartet habe. Er hatte die Nachricht von Pater Giuliani erhalten und war sofort nach Maralal marschiert. Erst gegen zweiundzwanzig Uhr erfuhr er, daß der Bus steckengeblieben war und eine Weiße dabei sei. Als am Morgen der Bus wieder nicht kam, war er in die Garage gegangen, hatte unser repariertes Auto geholt und war einfach losgefahren, um seine Frau zu retten. Ich kann es nicht fassen, wie er das geschafft hat. Die Straße ist zwar ziemlich gerade, aber ganz
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