Die Weiße Rose
hatten erst am Tag vorher von Traute Lafrenz erfahren, dass Hans und Sophie verhaftet worden waren. Die Polizeibehörden hatten sie nicht benachrichtigt. In einem anonymen Telefongespräch informierte Jürgen Wittenstein das Ehepaar Scholl über den Prozess. Er holte sie vom Bahnhof ab und brachte sie zum Justizpalast. Erst nachdem Freislers Schauspiel begonnen hatte, ließ man sie hinein. Die Eltern der Opfer sollten nicht stören, wenn die NS-Justiz ihre Macht in Szene setzte.
Die Eltern fuhren hinaus zum Gefängnis München Stadelheim, wo das Urteil vollstreckt werden sollte. Die Gestapo-Beamten erlaubten ihnen, ihre Kinder vor der Hinrichtung noch einmal zu sehen. Hans Scholl war stark abgemagert. Er weigerte sich, die Kekse anzunehmen, die von der Mutter als eine letzte Freude für sie gebacken worden waren. Elisabeth Hartnagel, die jüngste Schwester, erzählt:
„Hans lehnte die Kekse ab, meinte, er hätte alles hinter sich, und die Sophie soll ganz fröhlich gesagt haben, dass sie heute noch gar nichts gegessen hätte. Sie nahm die Kekse an, aber nach ihrem Tod haben wir sie alle noch in ihrer Manteltasche gefunden. Sie hatte sie nicht gegessen.“ 155
Die kleine Szene zeigt die Stärke und Selbstlosigkeit von Sophie Scholl. Selbst im Angesicht des Todes dachte sie noch an ihre Eltern. Sie ist mit einer bewunderungswürdigen Tapferkeit in den Tod gegangen.
Der katholische Anstaltspfarrer Dr. Alt war der geistliche Bestand der Verurteilten. Christoph Probst wollte von ihmkurz vor der Hinrichtung getauft werden. Susanne Hirzel berichtet, dass Hans und Sophie Scholl zum katholischen Glauben konvertieren wollten. Dr. Alt lehnte das ab, „um ihrer Mutter nicht zusätzlich Schmerzen zu bereiten.“ 156
Kurz bevor sie zum Schafott geführt wurden, schrieb Hans Scholl mit Bleistift das Motto seiner Familie „Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten“ an die Wand seiner Zelle. Sophie Scholl schrieb „Freiheit!“ auf die Rückseite ihrer Anklageschrift.
Dann war es soweit. Sie wurden zu dem Häuschen auf dem Gefängnishof gebracht, in dem die Guillotine stand. Hans Scholl richtete sich noch einmal auf. Er rief laut „Freiheit!“ als er über den Hof geführt wurde. Sein Lebensmotto war auch sein letztes Wort. Wenige Sekunden später war eine Erschütterung zu spüren. Das Fallbeil war niedergesaust.
Dann wurde Christoph Probst zum Schafott geführt. Zuletzt starb Sophie Scholl.
Die Körper der Toten wurden zusammen mit den abgeschlagenen Köpfen in einen Sarg gelegt. Es war üblich, dass die Leichen von Hingerichteten in die Anatomie gebracht wurden, damit sie dort von Medizinstudenten seziert werden konnten. Diese letzte Demütigung hat man den Verurteilten erspart. Am 24. Februar 1943 konnten Robert und Magdalena Scholl ihre Kinder auf dem Perlacher Friedhof beisetzen.
Am nächsten Tag verkündete die NS-Presse triumphierend: „Wegen Hoch- und Landesverrat verurteilt. Das Urteil ist bereits vollstreckt.“
Der Blutdurst des Regimes war damit aber noch nicht gestillt. Weitere Prozesse sollten folgen.
147 Gestapo, S. 65.
148 Gestapo, S. 73.
149 Bassler, S. 151.
150 ebd.
151 Zankel, S. 128.
152 Die folgende Darstellung stützt sich auf den Prozessbericht von Susanne Hirzel, die den gesamten Prozess als Angeklagte erlebt hat und eine sehr gute Schilderung der Ereignisse in ihrer Autobiografie „Vom Ja zum Nein“. gibt.
153 Rede des Reichsanwalts Parisius 1938. In: Aleff, Eberhard: Das Dritte Reich, S. 90.
154 zit. nach Hirzel, S. 225.
155 zit. nach Hirzel, S. 226.
156 zit. nach Hirzel, S. 227.
Der zweite Prozess
Alexander Schmorell ließ sich von der zunehmenden Paranoia seiner Freundes Hans Scholl anstecken. Lilo Fürst-Ramdohr erzählt, dass er bereits am 11. Februar 1943 im Heizungskeller ihres Hauses seine Uniform und sein Soldbuch zusammen mit den Graffiti-Schablonen verbrannt hat. Er erzählte ihr von seinen Plänen, in einem Lager für russische Kriegsgefangene unterzutauchen.
Am 18. Februar erhielt er die Warnung, dass er wegen der Verbreitung staatsfeindlicher Flugblätter festgenommen werden sollte. Er versuchte daraufhin, seine Freunde zu erreichen. Als er in der Wohnung der Geschwister niemanden mehr antraf, entschloss er sich zur Flucht.
Schmorell konnte nicht mehr nach Hause zurück, weil da die Gestapo bereits auf ihn wartete. Für die Flucht, die er größtenteils zu Fuß wagen wollte, brauchte er Papiere, Kleidung und Essen. Lilo
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