Die Weiße Rose
ihn verwendet hatte, hielt sich Freisler zurück. Graf belastete den toten Hans Scholl schwer und stellte sich als naiven Mitläufer dar, der seinen Fehler jetzt einsah. Diese Taktik nützte Graf am Ende nichts mehr. Das Urteil stand schon vorher fest.
Prof. Huber bekam Freislers ganze Wut zu spüren. Das von ihm entworfene sechste Flugblatt hatte mitseiner Erwähnung des Untergangs der 6. Armee und dem höhnischen Kommentar „Führer, wir danken dir!“ den blutrünstigen, widerwärtigen Übereifer des NS-Juristen angestachelt, der im Kampf für „Führer und Reich“ gegen deren Feinde und den ihm verhassten Defätismus gnadenlos vorging. Und so konterte er kalt:
„Ich kenne keinen Prof. Huber und auch keinen Dr. Huber! Ich kenne nur den Angeklagten Huber, und dieser verdient es gar nicht, ein Deutscher zu sein, denn er ist ein Lump! [...] Sie machen es sich leicht, Huber. Sie lassen sich hinrichten und für ihre Familie darf dann die NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt] aufkommen.“ 162
Huber ließ sich nicht einschüchtern. Er ertrug ungerührt Freislers Beleidigungen und hielt ein ergreifendes Schlusswort, das den ganzen Mut dieses Mannes zeigt, der sich als deutscher Patriot nicht zum Hochverräter abstempeln lassen wollte.
Der Oberreichsanwalt forderte die Todesstrafe für Schmorell, Graf, Huber und Grimminger; für Hans Hirzel und Franz Müller forderte er lange Zuchthausstrafen.
Der Stuttgarter Rechtsanwalt Dr. Eble verteidigte in seinen Plädoyers Eugen Grimminger und die Geschwister Hirzel sehr geschickt. Er stellte Grimminger als einen guten, sozial denkenden Chef dar, der die Ideale der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft in seinem Betrieb praktiziere. Die Geschwister Hirzel stellte er als Abkömmlinge einer kerndeutschen Familie dar: „DasErbgut dieser deutschen Familie sollte nicht geschmälert werden.“ 163 Er hatte damit den für Freislers Ohren richtigen Ton getroffen. Eble konnte immerhin erreichen, dass Grimminger nicht zum Tode verurteilt wurde und Hans Hirzel eine geringere Haftstrafe erhielt.
Nach einer mehr als vierzehnstündigen Verhandlung wurde gegen 23 Uhr abends das Urteil verkündet: Schmorell, Graf und Prof. Huber wurden als Hochverräter zum Tode und zum Verlust sämtlicher Ehrenrechte verurteilt.
Eugen Grimminger, Heinz Bollinger und Helmut Bauer erhielten Zuchthausstrafen von bis zu zehn Jahren. Hans Hirzel, Heinrich Guter und Franz Müller mussten für Jahre ins Gefängnis. Traute Lafrenz, Gisela Schertling und Karin Schüddekopf wurden zu je einem Jahr Gefängnis verurteilt; Susanne Hirzel kam mit einem halben Jahr davon.
Falk Harnack wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Wahrscheinlich streckte die Gestapo dahinter. Man ließ ihn laufen, um ihn weiter observieren zu können. Die Gestapobeamten hofften, durch die Beobachtung Harnacks mehr über die Widerstandsgruppen erfahren zu können, mit denen der Chemnitzer in Kontakt stand.
Während ihre Kinder in der Todeszelle saßen, stellten die Eltern von Schmorell und Graf ein Gnadengesuch an Hitler. Der in den Flugblättern beleidigte „Führer“ ließ sich nicht erweichen. Am 25. Juni 1943 lehnte er das Gesuch ab. Das Urteil an den „Hochverrätern“ konnte nun vollstreckt werden.
Prof. Huber wurden sowohl der Professorenals auch der Doktortitel aberkannt. An der Universität Münchenhatte sich keine Hand für ihn gerührt, als ihn die Hochschulleitung aus dem Lehrkörper ausstieß. Durch die Entfernung aus dem akademischen Dienst verlor seine Frau sämtliche Pensionsansprüche. Um seine Familie nicht völlig mittellos zurückzulassen, arbeitete Huber in der Todeszelle fieberhaft an einem Buch über den Philosophen Leibniz. In dem Werk hinterließ er vor allem sein staatsphilosophisches Vermächtnis. Wie Leibniz fordert auch Huber, dass sich ein Regent am Gemeinwohl und am Gesetz orientieren muss. Die Herrschaft muss anders als in Hitlers Volksgemeinschaft auf der freien Wahl von freien Individuen beruhen. Huber konnte sein Buch fast fertigstellen. Die fehlenden Teile wurden von einem Kollegen ergänzt, der das Buch dann auch herausgab.
Am 13. Juli 1943 wurden Alexander Schmorell und Prof. Kurt Huber hingerichtet. Willi Graf musste noch bis zum 12. Oktober 1943 auf seine Hinrichtung warten. Die Gestapo hatte ihn so lange am Leben gelassen, weil sie zusätzliche Informationen über den studentischen Widerstand von ihm erfahren wollte. Bis zu seiner Hinrichtung musste er noch viele Verhöre über
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