Die Weiße Rose
Fräulein Gebel in ihrer Niederschrift sagt –, Sophie Scholl wenigstens das Leben zu retten. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich Sophie Scholl wie eine Verräterin am eigenen Bruder vorgekommen wäre, wenn sie diesen »Strohhalm« hätte ergreifen sollen. Bei der charakterlichen Haltung der Sophie Scholl im allgemeinen, ist mir ihre Stellungnahme zu dieser Frage verständlich, auch wenn ich damals sehr enttäuscht darüber war, nicht zu dem von mir erstrebten Erfolg gekommen zu sein. …
Von höchster Stelle wurde auf einen möglichst raschen Abschluß der Ermittlungen gedrängt, weil eine Aburteilung, wie ja dann auch geschehen, schon in den nächsten Tagen vor dem Volksgerichtshof in München erfolgen sollte. Schon am Sonntag nach der Festnahme – es war dies, glaube ich, der 20 . 2 . 43 [2] – in den Nachmittagsstunden traf der Oberreichsanwalt in München ein, und es mußten zu diesem Zeitpunkt die Ermittlungsakten zur Übergabe bereitliegen. So erklärt es sich auch, daß die an der Vorermittlung beteiligten Personen – Beschuldigte sowohl als auch Kriminalbeamte – in diesen Tagen kaum zur Ruhe kamen. In richtiger Erkenntnis der Sachlage habe ich Sophie Scholl schon vor der Überstellung in das Gerichtsgefängnis die Möglichkeit gegeben, sich vorsorglich von ihren Angehörigen, wenigstens brieflich zu verabschieden, weil später vielleicht nicht Zeit oder Gelegenheit dazu gegeben sein könnte.
Von Sophie und Hans Scholl lagen kurze Abschiedsbriefe an die Eltern, an Inge Scholl und von Sophie an ihren Verehrer oder Verlobten vor. Die Briefe enthielten warme Dankesworte für empfangene Wohltaten und Liebe, neben dem Hinweis, daß man nicht anders habe handeln können. In einem der Briefe war zum Ausdruck gebracht, daß die Zukunft freisprechen und rechtfertigen würde, was man jetzt verurteile. Die Briefe enthielten ferner Worte des Trostes und der Entschuldigung für den Schmerz, der den Hinterbliebenen habe zugefügt werden müssen. Schließlich zeugten sie von einer tiefen Gläubigkeit.
In einem der Briefe, vermutlich der Sophie an Inge Scholl waren Grüße an einen Professor Muth in Solln bei München aufgetragen. Von Sophie Scholl war mir bekannt, daß die Geschwister Scholl bei diesem Herrn Muth gelegentlich Besuche machten und daß sie diesen Herrn besonders schätzten und verehrten.
Auftragsgemäß mußte über den Inhalt der Abschiedsbriefe an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin berichtet werden. Darauf wurde von dort angeordnet, daß die Briefe ausnahmslos zu den Akten zu nehmen seien, auf keinen Fall aber ausgehändigt werden dürften, weil im anderen Falle zu befürchten sei, daß der Briefinhalt propagandistisch verwendet werden würde. Schon aus dieser Anordnung, die in München nicht gebilligt wurde, geht hervor, daß der Inhalt der Briefe sich mit der Gesamthaltung deckte.
Zu der am 22 . 2 . 43 vormittags 10 Uhr angesetzten Gerichtsverhandlung des Volksgerichtshofes im Jusitzgebäude in München war ich mit noch einigen Kameraden, darunter Herr Mahler, als Zeuge geladen. Bei Aufruf des Falles mußten die Zeugen vorerst abtreten. Später wurde auf eine Vernehmung der Zeugen verzichtet, weil die Beschuldigten, wie nicht anders zu erwarten, in vollem Umfange geständig waren. Die Verhandlung selbst wurde durch den Vorsitzenden Freisler mit aller Schärfe durchgeführt. Besonders aufgefallen ist mir dabei, daß die Angeklagten kaum zu Wort kamen, sofern man einzelne Bemerkungen derselben nicht mit bissigen Worten abtat. Während der Verhandlung bemerkte ich, daß ein älteres Ehepaar in den Gerichtssaal drängte. Erst später erfuhr ich, daß dies die Eltern der Geschwister Scholl gewesen sind. Bekannt ist mir noch, daß Hans Scholl als Schlußwort ungefähr ausführte, daß er rückhaltlos zu seiner Tat stehe und daß der Tag komme, an dem jene auf der Anklagebank säßen, die sich heute als Richter aufspielten. Ich glaube sogar, daß dieses Schlußwort noch drastischer war. Es hat vielleicht sogar gelautet »Heute hängt ihr uns und morgen werdet es ihr sein« oder ähnlich.
Mit der Überstellung der Beschuldigten zum Gerichtsgefängnis und der Vorführung zur Verhandlung bzw. der Wiedereinlieferung in Stadelheim nach der Verhandlung hatte ich nichts zu tun. Dies wurde vom Gefängnispersonal und der blauen Polizei besorgt.
Am Nachmittag nach der Gerichtsverhandlung – 22 . 2 . 43 – etwa zwischen 14 und 15 Uhr begab ich mich nochmals
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