Die Weiße Rose
hinzugesprungenen Universitätsangestellten mit heftigen Worten zurechtgewiesen und verdrängt wurden. Gespannt wartete ich noch eine Weile, als plötzlich von oben der Pedell herunterkam und am Arm einen Studenten führte, der ihn um mindestens zwei Köpfe überragte. Dann ging ich in die Vorlesung. Um 12 h aber konnte ich die Universität nicht mehr verlassen, da alle Ausgänge und Telefonkabinen zugesperrt waren. Eine große Menge von Studenten sammelte sich am Hauptausgang zur Ludwigstraße, vor dem bereits die Wagen der SS und Gestapo standen. Man tuschelte untereinander, aber sonst geschah nichts, auch nicht als ein junges Mädchen von zwei Gestapobeamten, deren Beruf schon an ihren Visagen erkenntlich war, durch die Menge hindurch abgeführt wurde. Ich kochte vor Wut, Zorn und Haß, war aber zu feig, auch nur den Mund aufzumachen: einmal bestand von drei Hausdurchsuchungen und Verhören durch die Gestapo bereits ein Dossier von mir, und zweitens gab mir mein jugendliches Alter und meine geistige Entwicklung nicht den Mut, irgend etwas zur Unterstützung der Verhafteten zu tun. Ich war aber auch erschüttert über die trostlose Passivität der anwesenden Studenten, die schweigend und wartend herumstanden und die unbegreifliche Blödheit hatten, den kurz darauf erscheinenden Rektor, der eine aufklärende Ansprache hielt und etwas von Hochverrätern usw. faselte, zu betrampeln …
23 . 10 . 1953
Robert Mohr, Kriminalobersekretär bei der Gestapo München, Vernehmungsbeamter von Sophie Scholl und anderen Beteiligten des Kreises der Weißen Rose
Bereits im Sommer 1942 kamen bei der Staatspolizei München im Vervielfältigungsverfahren hergestellte, mit Schreibmaschine geschriebene Flugblätter, mit der Überschrift »Die weiße Rose« in Einlauf. Die Blätter umfaßten 2 Schreibmaschinenseiten und waren durchwegs an höhergestellte Persönlichkeiten des geistigen Lebens, Professoren, Schriftsteller und dgl. gerichtet. […]
Die in dieser Richtung angestellten Ermittlungen, zur Feststellung der Urheber verliefen ergebnislos. Verschiedene Umstände deuteten darauf hin, daß die Verfasser der Flugblätter in München zu suchen sein werden, nähere Anhaltspunkte fehlten jedoch vorerst.
Eine neue Situation entstand erst, als Ende Januar oder anfangs Februar 1943 in den späten Abendstunden im Stadtkern von München, offensichtlich von mehreren Personen, etwa 8 – 10 000 im Vervielfältigungsverfahren hergestellte Flugblätter in Haus- und Hofeingängen, auf den Bürgersteigen usw. ausgestreut wurden. Auch mit diesen Flugblättern wurde, ausgehend von der Tragödie von Stalingrad, mit drastischen Worten gegen die damals bestehende Regierungs- und Staatsform und seine Führung Stellung genommen. Es wurde als gegeben unterstellt, daß der Krieg bereits zu diesem Zeitpunkt verloren war und daher alles getan werden müsse, dieses unsinnige Blutvergießen abzukürzen bzw. zu beenden.
Das Auftauchen dieser verhältnismäßig großen Zahl von Flugblättern in der »Hauptstadt der Bewegung« hat selbstverständlich bis in die höchsten Stellen Beunruhigung und Aufsehen hervorgerufen. […]
Am folgenden Vormittag zwischen 10 und 11 Uhr erhielt ich in meinem Zimmer im Wittelsbacher Palais die telef. Aufforderung, sofort zum Chef – Oberregierungsrat Schäfer – zu kommen. Als ich wenig später nichtsahnend dort eintraf, fand ich Herrn Schäfer an seinem Schreibtisch, hinter einem Berg der vorerwähnten Flugblätter, die inzwischen in der Stadt eingesammelt wurden und hier aufgestapelt waren.
Nach kurzer Information erhielt ich den Auftrag, alle anderen Arbeiten zu übergeben oder wenn nicht dringlich, liegen zu lassen, um sogleich mit mehreren Beamten die Fahndungstätigkeit nach den Urhebern dieser Flugblätter aufzunehmen. Zugleich wurde mir mitgeteilt, daß diese Flugblatt-Aktion größte Beunruhigung hervorgerufen habe und daß demgemäß die höchsten Stellen von Partei und Staat an einer möglichst baldigen Aufklärung interessiert seien. Dieses begreifliche Interesse wurde schließlich auch dadurch unterstrichen, daß fast täglich maßgebende Persönlichkeiten vorsprachen, um sich über den Stand der Dinge zu informieren.
Fast um die gleiche Zeit sind Flugblätter ähnlichen oder gar gleichen Inhalts in größerer Anzahl per Post in Stuttgart, Augsburg, Wien und, glaub’ ich, in Salzburg und Innsbruck aufgetaucht, weshalb es zuerst ungewiß war, an welchem dieser Orte die Hersteller und
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