Die Weiße Rose
Unehre.« Zu diesem Zeitpunkt war ich bei dem Stand der Dinge der Auffassung, daß Hans und Sophie Scholl noch am gleichen Tag mit ihrer Entlassung zu rechnen hätten. Dies gab ich der Sophie Scholl zu verstehen, indem ich beiläufig erwähnte, daß sie wohl noch am gleichen Abend die Reise nach Ulm, gemeinsam mit ihrem Bruder, antreten könne.
[…]
Eine Wendung der Dinge trat erst ein, als bei einer Durchsuchung des Hans Scholl’schen Zimmers mehrere 100 Briefmarken zu 8 Pfg. – postfrisch – und der Entwurf eines handschriftlich abgefaßten Flugblattes, das, wie sich später herausstellte, von der Hand des Christoph Probst stammte, vorgefunden wurde. Dies wurde mir am Abend des 18 . 2 . 43 mit dem Bemerken mitgeteilt, daß demnach Hans Scholl als der Verfasser und Verbreiter der Flugblätter in Frage komme.
Offen gesagt, ich war selbst über diese neuerliche Feststellung mehr erschrocken als mein Gegenüber, Fräulein Scholl, die zu jeder Zeit die Ruhe selber war. Was sich jetzt abspielte, ist mir in meiner 26 jährigen Gendarmerie- und Polizeidienstzeit nicht ein zweites Mal begegnet. Sophie war krampfhaft bemüht, alle Schuld auf sich zu nehmen, um dadurch ihren Bruder, an dem sie offensichtlich mit letzter Hingabe hing, zu entlasten, wenn nicht zu retten. Ich habe keinen Zweifel, daß Sophie Scholl, wenn sie es vermocht hätte, ihr junges, hoffnungsvolles Leben zweimal hingegeben hätte, wenn sie ihrem Bruder dieses Ende hätte ersparen können. Umgekehrt war bei Hans Scholl die gleiche Bereitschaft festzustellen. Daß die hier zum Ausdruck gekommene Geschwisterliebe, diese Opferbereitschaft und Charakterstärke auf mich selbst wie auf alle die übrigen Beteiligten den stärksten Eindruck machte, brauche ich wohl nicht besonders hervorzuheben.
Beide, Sophie und Hans Scholl, waren sich der Tragweite ihrer Handlungsweise und der daraus erwachsenen möglichen Schlußfolgerung voll bewußt – trotzdem bewahrten beide bis zum bitteren Ende eine Haltung, die als einmalig bezeichnet werden muß. Übereinstimmend erklärten sie dem Sinne nach, sie hätten durch ihr Vorgehen nur das eine Ziel im Auge gehabt, ein noch größeres Unglück für Deutschland zu verhindern und vielleicht mit ihrem Teil dazu beizutragen, 100 000 enden von deutschen Soldaten und Menschen das Leben zu retten. Ja, wenn das Glück oder Unglück eines großen Volkes auf dem Spiele stehe, sei kein Mittel und Opfer zu groß, es freudig darzubringen. Sophie und auch Hans Scholl waren bis zuletzt davon überzeugt, daß ihr Opfer nicht umsonst sei.
Bei allem Pflichtbewußtsein der beteiligten Beamten, es handelte sich durchwegs um erfahrene Kriminalisten, ist es bei dieser Sachlage nur verständlich, daß die unglücklichen Opfer dieser Tragödie die ungeteilte Sympathie und Hochachtung, wenn nicht Wertschätzung, aller Beteiligten genossen. Demgemäß war auch die Behandlung denkbar gut und nachsichtig. Jeder von uns hätte gerade hier bei der charakterlichen Seelengröße der Betroffenen sehr gerne geholfen, wenn dies möglich gewesen wäre – statt sich, wie geschehen, auf kleine Aufmerksamkeiten zu beschränken. Mein Kollege sagte mir in jenen Tagen dem Sinne nach folgendes: »Bei Hans Scholl bin ich einer Intelligenz begegnet, wie sie mir in dieser prägnanten Form bis dahin fast fremd war. Ich bedauere, daß ich nach der Sachlage nichts für ihn tun kann.« Ich glaube mich sogar zu erinnern, daß er (Kollege) mir im Vertrauen zu mir, von einem »Volksführer« sprach, wie wir ihn vielleicht in Zukunft notwendig brauchen könnten. Daran knüpfte er schließlich noch die Bemerkung, es sei furchtbar, daß solche Menschen sterben müßten … Was Sophie Scholl anlangt, glaubte ich einen Weg gefunden zu haben, ihr wenigstens das Leben zu retten. Eigens zu diesem Zweck ließ ich sie mir, glaube ich, am 19 . 2 . 43 zur Vernehmung vorführen. Ich versuchte mit letzter Beredsamkeit Fräulein Scholl zu einer Erklärung zu veranlassen, die letzten Endes darauf hinaus hätte laufen müssen, daß sie ideologisch mit ihrem Bruder nicht konform war, sich vielmehr auf ihren Bruder verlassen habe, daß das was sie getan habe richtig sei, ohne sich selbst über die Tragweite der Handlungsweise Gedanken zu machen. Sophie Scholl erkannte sofort, wo ich hinauswollte, lehnte es jedoch entschieden ab, sich zu einer solchen oder ähnlichen Erklärung bereitzufinden. Es war dies in der Tat vielleicht die einzige Möglichkeit – eine Chance, wie
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