Die weissen Feuer von Hongkong
als sie ihn sah, aber sie gab ihm ein paar Zigaretten und brachte das Telegramm der Besitzerin des Studios.
Luise Lauffer schlief nicht. Sie hatte trotz der Klimaanlage um die Mittagszeit immer das Gefühl, in einem Backofen zu sitzen. In ihrem Schaukelstuhl las sie gelangweilt ein Fotomagazin. Sie war eine gutaussehende Frau, die für ihr Gesicht bereits eine nicht unbeträchtliche Menge kosmetischer Artikel benötigte. Trotzdem fiel sie, schon wegen ihres langen, strohblonden Haares, immer noch in der Europäergesellschaft Hongkongs auf.
»Was ist?« fragte sie wirsch, als das Mädchen eintrat.
Die Chinesin gab ihr das Telegramm und bemerkte: »Vielleicht von dem schwedischen Maler, der wiederkommen wollte?«
Luise Lauffer las, ohne aufzublicken, und das Mädchen fügte hinzu: »Er wollte noch eine Postkartenserie von uns malen.«
Die Frau warf ihr einen mißmutigen Blick zu. Sie sagte: »Es ist nicht von dem Maler. Es ist für mich privat. Ist Kundschaft da?«
Nancy zog einen Flunsch. Der Schwede hatte sich sieben Tage im Studio aufgehalten und war jeden Abend mit ihr ausgegangen. »Drei Kabinen sind besetzt. Und vier Anmeldungen für den Nachmittag.«
Ein durchschnittlicher Tag, dachte die Frau. Im Sommer ist es immer so. Die Touristen kommen abends, wenn ihnen der Schweiß nicht mehr in Strömen am Körper herunterläuft. Luise Lauffer war nun vier Jahre in Hongkong. Sie hatte Überlegung und Geschäftsgeist bewiesen, als sie den Entschluß faßte, von Österreich hierher überzusiedeln. Ein paar englische Freunde hatten ihr die Möglichkeiten geschildert, die sich in dieser Stadt boten, und sie war kurz entschlossen aufgebrochen. Mit ein wenig Glück und viel Skrupellosigkeit hatte sie ihren Weg gemacht. Heute lief ihr Geschäft reibungslos. Die Etage, die sie gemietet hatte, enthielt einen kleinen Gymnastiksaal, in dem sie junge, gutgewachsene einheimische Mädchen mit den Grundbegriffen des modernen Tanzes vertraut machte. Dafür nahm sie kein Honorar, was vor allem den Zuspruch solcher Mädchen förderte, die fast mittellos waren. Das nutzte Luise Lauffer aus, indem sie neben der Tanzausbildung ein Fotostudio betrieb, dessen Einnahmen die eines mittleren Hotels überstiegen. Die Touristen hatten dort Gelegenheit, in einem Dutzend kleiner, mit Dekorationen versehener Kabinen Aufnahmen von den angehenden Tänzerinnen zu machen. Sie entrichteten eine Gebühr von fünf Hongkong-Dollar je Aufnahme. Dafür wurde ihnen alles geboten, wonach sie verlangten. Sie suchten sich eins der Mädchen aus und verschwanden mit ihm in der Kabine. Hier konnten sie das Modell fotografieren, sooft sie wollten. Die Hälfte der Einnahmen ging an Luise Lauffer, den Rest durften die Mädchen behalten. Und es war bekannt, daß Miß Lauffer sich grundsätzlich nicht darum kümmerte, was in ihren Kabinen fotografiert wurde, obwohl anstandshalber in jeder Kabine ein Schild hing mit der Aufschrift: »Verabredungen werden während der Arbeitszeit nicht getroffen«. Ein anderes besagte: »Es ist den Fotografen nicht erlaubt, ihre Kleidung abzulegen«.
Die Mädchen empfanden diese Art des Geldverdienens als exklusiv, verglichen mit der in den Tanzsalons von Wanchai oder den vielen Abschleppkneipen in der Hafengegend. Sie bezeichneten sich als Künstlerinnen, und Miß Lauffer hatte wenig Ärger mit ihnen. Sie verdiente an ihnen und ließ ihnen relativ viel Freiheit.
Außer ihrer Wohnung im Studio besaß sie einen Bungalow am Peak, wo sie ihre Sonntage verbrachte. Sie gehörte mehreren Klubs an und spendete zuweilen etwas für wohltätige Zwecke. Es fehlte ihr nicht an Verehrern, aber seit sie über genügend Geld verfügte, war sie in ihrer Wahl vorsichtig geworden. Ein lockeres, aber lang andauerndes Verhältnis mit einem Offizier der Einwanderungsbehörde hatte ihr die Erlaubnis für den unbefristeten Aufenthalt in der Kolonie eingebracht. Sie hatte sich ausgerechnet, daß sie in etwa fünf oder sechs Jahren Hongkong verlassen würde und mit einem ansehnlichen Bankkonto wieder nach Österreich zurückgehen könnte.
Nachdem sie Nancy entlassen hatte, goß sie sich ein Glas Whisky ein und las den Text des Telegramms noch einmal. Fred Kolberg bat sie um eine Unterredung. Was konnte der Grund dafür sein? Luise Lauffer hatte Kolberg durch einen Zufall kennengelernt. Den Umstand, daß er als Pilot in die verschiedensten Gegenden Südostasiens kam, hatte sie zu einem Schmuggelgeschäft ausgenutzt, bei dem auch er verdiente. Sie kaufte in
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