Die weissen Feuer von Hongkong
»sind hier nicht im Programm. Dafür gibt‘ s bald Orden.« Dann wurde sein Gesicht zu jener ausdruckslosen, schläfrig anmutenden Maske, die jeder an ihm kannte, der schon einmal mit ihm gepokert hatte.
Die ganze Nacht hindurch dröhnten Motoren über den Flugplatz. Aufklärer und Wetterflugzeuge starteten und landeten wieder. Von Japan her brachten schwerfällige Globemaster Material und Treibstoff, Truppen und Fahrzeuge. Die amerikanische Militärmaschinerie kam auf Hochtouren. Man hatte den Gegner unterschätzt, das war inzwischen bis hinauf zum Pentagon klargeworden. Der Plan, Nordkorea durch einen einzigen kräftigen Schlag der südkoreanischen Truppen »aufrollen« zu lassen, war gescheitert. Plötzlich ging es um Kopf und Kragen und um mehr als nur das. Es ging letztlich um das Ansehen Amerikas in Asien. Dieses Ansehen konnte Amerika verlieren oder gewinnen. Kein Asiate würde in Zukunft mehr ehrfurchtsvoll das Haupt vor Amerikas Soldaten beugen, wenn sie nicht jetzt, und zwar sehr bald, ihre Überlegenheit eindeutig bewiesen.
Es gab Leute, die es bereits bedauerten, daß die USA sich auf das Abenteuer Korea eingelassen hatten. Aber das war nun nicht mehr rückgängig zu machen. Es kam darauf an, mit allen verfügbaren Mitteln eine Entscheidung herbeizuführen. Kaum einer der planenden Generäle ahnte um diese Zeit, daß sich hier die erste entscheidende Niederlage der amerikanischen Militärmacht anbahnte und daß es ganze drei Jahre währen sollte, bis die Angreifer sich schließlich in einer kleinen Stadt am 38. Breitengrad an einen Verhandlungstisch setzen und ein Waffenstillstandsabkommen unterschreiben würden. Drei lange Jahre, in denen nicht nur Asien, sondern die ganze Welt Zeuge davon wurde, daß es der vielgerühmten, technisch hochgezüchteten Armee, der modernen Luftwaffe und der lorbeerbekränzten Marine der USA nicht gelang, ihr Ziel zu erreichen.
*
Claire Lee Chennault kannte Rosie O‘Donnel, den Kommandeur der blitzartig nach Korea geworfenen 92. Bombergruppe, noch aus der Zeit des zweiten Weltkrieges. Die beiden Männer waren etwa im gleichen Alter, nur wirkte Chennault flinker und drahtiger als der etwas behäbige, massige O‘Donnel. Als Chennaults Transportmaschinen die Luftbrücke zwischen Indien und China flogen, hatte er dem damaligen Kommandeur eines Fernbombergeschwaders, O‘Donnel, manchen kleinen Gefallen getan. Seither waren sie befreundet, auch wenn sie sich nur selten sahen, weil O‘Donnels Standort in Japan und der Chennaults in Taiwan gewesen war. Heute standen sich die zwei Männer wieder gegenüber. Noch war das Gespräch offiziell, aber es würde sich Gelegenheit für eine private Unterhaltung finden. O‘Donnel erläuterte den Einsatz für den kommenden Abend.
Er stand vor der taktischen Karte Koreas im Beratungsraum des Flugplatzes Yokota und deutete auf die Flußübergänge am Naktong. »Ziel Nummer eins. Erste bis sechste Staffel der 92. Gruppe. Ich wiederhole: Fläche etwa dreizehntausend mal siebentausend Yard. Zielanflug aus Richtung Nordost.«
Der Zeigestock wanderte nordwärts, bis in die Gegend von Wonsan, einer der großen Industriestädte Nordkoreas an der Küste des Japanischen Meeres. O‘Donnel blickte zu Chennault hin, der zum Zeichen seines Einverständnisses leicht nickte. Dann fuhr er fort: »Ziel Nummer zwei. Erste bis sechste Staffel der ‚Fliegenden Tiger‘. Stadt und Hafen von Wonsan. Hauptziel die Ölraffinerie. Bei dem Schlag kommt es darauf an, die vorhandenen Ölreserven sowie die Werkanlagen zu zerstören und die Menschenreserven zu dezimieren, die Instandsetzungsarbeiten leisten könnten.«
Er legte den Zeigestock aus der Hand und stützte sich leicht auf die Lehne eines wackligen Stuhles. »Wie Sie sehen, verfolgen wir zwei Ziele beim Einsatz der Bomberflotte. Wir stoppen die am weitesten nach Süden vorgedrungenen roten Kräfte, die am Naktong in Bereitstellung liegen: Zugleich beginnen wir, die rückwärtigen Verbindungen und Reserven der Roten zu zerschlagen. Karten und Fotomaterial werden Ihnen mitgegeben. Auswahl der Einsatzkommandeure erfolgt nach eigenem Ermessen. Gibt es Fragen?«
Es wurden nur einige zusätzliche Auskünfte verlangt, dann verließen die Kommandeure den Raum. Chennault unterhielt sich vor dem Abflug noch eine Weile mit O‘Donnel. Als er mit dem Chef der Bombergruppe allein war, fragte er halblaut: »Wie konnte das an der Demarkationslinie passieren? Haben die Truppen nicht ausgereicht?«
O‘Donnel
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