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Die weissen Feuer von Hongkong

Die weissen Feuer von Hongkong

Titel: Die weissen Feuer von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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zog er den Stift aus der Preßluftflasche des Schlauchbootes, Sekunden später konnte er sich über den Rand des aufgepumpten Bootes ziehen. Er beklopfte den kleinen, in der Gummihülle eingebauten Kompass, dann steckte er das Paddel zusammen und trieb das Boot von der im Wellengang schlingernden Maschine weg.
     
    *
    Der alte Yen Tso-lin war erst spät von Aberdeen ausgefahren. Er begab sich oft zu ungewöhnlicher Zeit auf Fischfang, aber an diesem Abend kam es ihm gar nicht so sehr darauf an, etwas zu fangen. Er liebte das Meer, und er liebte es ganz besonders in einer so warmen, stillen Sommernacht wie dieser. Im Hafen von Aberdeen lag eine Dschunke neben der anderen. Ob man es wollte oder nicht, man lebte immer das Leben der anderen mit, man hörte sie streiten und lachen, hörte das Weinen ihrer Kinder und ihre Atemzüge bei Nacht. Man roch den Duft ihrer Speisen und den Tabak, den sie rauchten. Daran war Yen von jung auf gewöhnt; trotzdem gab es Zeiten, zu denen er gern mit sich allein war. Draußen auf dem Meer konnte man seine Gedanken schweifen lassen, man atmete die kühle, salzige Brise, und dem Auge waren keine Grenzen gesetzt. Das einzige Geräusch war das Klatschen der Wellen, die sich an der Bordwand brachen. Hier gab es keine zankenden Nachbarn und keine Polizei, weder lärmende Kinder noch stinkende Abfälle oder lästige Touristen. Die anderen Bootsleute kannten den alten Yen gut genug, um zu wissen, daß er oft tagelang draußen blieb. Sie machten sich keine Sorgen um ihn, sein Anlegeplatz war für ihn frei, wenn er wieder in Aberdeen einlief.
    Der Alte hatte das Flugzeug schon gehört, als es noch weit entfernt gewesen war. Er hatte das tiefe Gebrumm der Motoren nicht weiter beachtet. Dann war die Maschine in Sicht gekommen. Yen beobachtete, wie sie zur Landung ansetzte. Offenbar hatte der Pilot die Dschunke nicht gesehen, denn er ließ das Flugzeug in gefährlicher Nähe auf das Wasser herab. Der alte Yen wunderte sich. Hongkong war nicht weit, man konnte am Horizont den hellen Schein seiner Lichter sehen. Und dieser große Metallvogel flog nicht mehr die kurze Strecke bis Kai Tak, obwohl seine Motoren liefen. Yen wußte, daß so ein Flugzeug zuweilen notlanden mußte, wenn die Motoren nicht intakt waren. Aber bei diesem da wurden sie erst abgestellt, als es schon dicht über dem Wasser schwebte. Das war sonderbar. Der Fischer starrte dorthin, wo die Maschine mit ohrenbetäubendem Krachen auf das Wasser aufgeschlagen war. Die hohen Fontänen fielen schnell wieder in sich zusammen, und das Flugzeug schlingerte leicht im Wellengang. Wenn es eine Passagiermaschine war, müßten die Leute sie jetzt verlassen, denn sie würde bald sinken. Aber nur ein einzelner Mann stieg aus. Yen sah, wie er seitlich an der Glaskanzel eine Luke öffnete und heraussprang, er sah ihn auch das Schlauchboot besteigen. Es schien außer ihm, niemand in dem großen Silbervogel gewesen zu sein. Yen machte sich seine Gedanken darüber, während das Schlauchboot näher kam. War das ein Flugzeugunglück? Aber wo blieben die Passagiere? Er hätte sie zur Not aufnehmen können. In diesem Augenblick erkannte der Fischer die Maschinengewehre in der Bugkanzel, und er wußte nun, daß dies eine Militärmaschine war.
    Der Flieger entdeckte die Dschunke erst, als Yen ihn anrief. Der Alte merkte, daß der Mann erschrak. Er sah ihn sich genauer an, das Schlauchboot kam näher. Ein Soldat, vermutlich sogar ein Offizier. Die Kragenspiegel trugen die Buchstaben US.
    »Hallo«, rief Yen in seinem holprigen, harten Pidgin-Englisch. »Ich kann Ihnen helfen. Kommen Sie herüber.«
    Yen hatte noch nie einen Menschen aus Seenot gerettet. Aber es schien ihm, als würde dieser Mann sich nicht darüber freuen, daß ein sicheres, seetüchtiges Fahrzeug am Ort der Katastrophe auftauchte. Er winkte ihm und wartete, bis das Schlauchboot nahe genug heran war, dann fragte er: »War denn außer Ihnen niemand mehr in dem Flugzeug?«
    »Nein«, erwiderte Kolberg mürrisch. Er blickte sich nach der Maschine um. Eine Welle hatte die rechte Tragfläche kurz hinter dem Außenmotor angeknickt. Der Rumpf sank zusehends. Der Fischer warf Kolberg ein Tau zu. Aber der Pilot griff nicht danach. Er fragte den überraschten Fischer: »Wie kommen Sie mitten in der Nacht ausgerechnet hierher?«
    »Zufall«, gab der Alte zurück. Er deutete auf das Tau. »Wollen Sie nicht herüberkommen?«
    Kolberg war wenig erbaut über das Auftauchen des Fischers, er hatte unbeobachtet

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