Die weissen Feuer von Hongkong
Kolbergs Händedruck und blinzelte dem Mann zu. »Glück auf Ihrem Weg, Fremder!« Er beobachtete, wie der Flieger an Land watete und dort zwischen den niedrigen Zweigen des Gebüschs verschwand, nachdem er ein letztes Mal zurückgewinkt hatte. Dann setzte er das Segel wieder, die Dschunke glitt dem Ausgang der Bucht zu, von der eine schmale Fahrrinne zwischen ein paar vorgelagerten Inseln nach Aberdeen verlief. Yen Tso-lin hatte bemerkt daß sich der Mann die mit weißer Farbe am Bug der Dschunke aufgemalte Nummer 707 genau ansah.
Erst als er das Fahrzeug bereits an seiner Anlegestelle in Aberdeen festgemacht hatte, griff der Fischer nach der Kombination, die Kolberg zurückgelassen hatte. Sie war noch verwendbar; Yen beschloß, sie zu behalten, und breitete sie an Deck zum Trocknen aus. Dabei fiel ihm auf, daß sich die rechte Brusttasche etwas wölbte. Er zog den Reißverschluß auf. Überrascht nahm er den Inhalt heraus: zwei Fotografien, die sich durch die Nässe leicht zusammengerollt hatten. Die eine zeigte ein junges Mädchen oder eine Frau, die andere einen Jungen. Beide, so schien es Yen, waren keine Amerikaner oder Europäer. Aber sie sahen auch nicht wie Asiaten aus. Der Fischer betrachtete die Bilder nachdenklich und versuchte einen Zusammenhang zwischen ihnen, dem Flieger und dem eigenartigen Flugzeugunglück zu finden. Yen wiegte nachdenklich den Kopf. Dann strich er die, Bilder, so gut es ging, glatt und nahm sie mit unter Deck, wo sich zwischen den beiden großen Spanten und der Bordwand seine »Wohnung« befand, ein kleiner, niedriger Raum mit einem Schlaflager aus Matten, ein paar Decken, Kochzeug und einem dürftigen Vorrat an getrocknetem Fisch, Teeblättern und Reis. Er verwahrte die Fotos sorgfältig zwischen zwei trockenen Tüchern, bevor er sich zum Schlafen ausstreckte.
*
Judith Huang war am späten Nachmittag zur Dinah-Lee-Stiftung gefahren und hatte Bert von der Schule abgemeldet. Die Leute dort hatten nicht viel gefragt, nachdem sie erklärt hatte, daß der Vater seinen Sohn zu sich nehmen wolle. Man stellte Bert ein Zeugnis aus und bestätigte, daß er ein fleißiger, ordnungsliebender Schüler gewesen war, den die Dinah-Lee-Stiftung ebenso gern weiterempfehle, wie sie ihn selbst jederzeit wieder aufnehmen würde. Man schenkte dem Jungen als Andenken eine Gruppenaufnahme aller Schüler, und er verabschiedete sich, während Judith seine Sachen in einen kleinen Koffer packte.
Der Portier winkte der Rikscha mit den beiden noch lange nach. Judith zog den Jungen an sich und tröstete ihn: »Freunde verläßt man immer ungern. Du wirst in Deutschland neue Freunde finden.« Sie wußte, daß es ihm schwerfiel, aus dem Internat wegzugehen. Aber wenn Fred Kolberg schaffte, was er sich vorgenommen hatte, konnte er jede Stunde in Hongkong sein. Dann würden sie nicht mehr viel Zeit haben. Es war besser, wenn sie alles zur Abreise vorbereitete.
Sie bezogen zwei kleine Zimmer, die durch eine Zwischentür verbunden waren. Als es dunkel wurde, brachte Judith den Jungen zu Bett. Sie blieb noch eine Weile bei ihm sitzen, und er stellte die Frage, die sie am meisten fürchtete: »Wann wird Paps kommen?«
Es fiel ihr nicht leicht, ihm zu versichern: »Er kommt, sobald er alles erledigt hat, was noch zu tun ist.« Das hörte sich so selbstverständlich an, aber Judith wußte sehr wohl, was sich dahinter verbarg. Claire Lee Chennault würde Fred nicht freiwillig gehen lassen. Und obwohl Fred darüber nicht gesprochen hatte, war Judith klar, daß ihm als Ausweg nur die Flucht blieb. Wie aber konnte ein Mann von einem beinahe dreitausend Kilometer entfernten Kriegsschauplatz hierhergelangen?
»Wird Paps in Deutschland auch wieder fliegen?« wollte der Junge wissen.
Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht. Aber wahrscheinlich wird er sich eine andere Arbeit suchen. Denn er möchte ein bißchen mehr mit uns zusammen sein als in den letzten Jahren.«
Der Junge überlegte, dann sagte er: »Weißt du, immer wenn ich daran denke, was er mir über den Tod meiner Mutter erzählt hat, möchte ich am liebsten kein Flugzeug mehr sehen. Ob es ihm nicht auch so geht?«
»Ich glaube, ja«, antwortete Judith. »Aber es wird ihm nicht leicht gemacht, die Fliegerei aufzugeben.« Nach einer Weile fügte sie hinzu: »Wenigstens die Art von Fliegerei, die er bei der CAT betreiben muß.«
»Weißt du, was ich mir wünsche?«
»Sag es mir ... «
»Daß er morgen früh da ist, wenn ich aufwache.«
Sie strich ihm
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