Die Welfenkaiserin
wurde«, erläuterte er. »Sie gehörte einst der Urgroßmutter Kaiser Karls. Das Verwalterpaar ist alt und hat schon vor einiger Zeit um Entlastung gebeten. Ich gebe euch ein Schreiben mit. Du, Judith, wirst als Witwe mit deinen beiden Söhnen die Nachfolge antreten.«
»Mit meinen beiden Söhnen?«
»Judith ist zu jung, um meine Mutter zu sein«, wehrte sich Ruadbern.
»Keinesfalls, euch trennen doch etwa fünfzehn Jahre«, erklärte Abt Markward.
»Aber sie sieht viel jünger aus. Und ich viel älter.«
»Das ist wahr«, sagte der Abt nachdenklich und betrachtete beide, als sähe er sie zum ersten Mal.
»Dann geht eben hin als Ehepaar mit einem Kind«, seufzte er. »Das werde ich Ludwig später erklären müssen.«
»Nicht nötig!«, erwiderten beide wie aus einem Mund und sahen sich dann verwundert an.
»Aber er ist nicht mein Vater!«, rief Karl. »Ich will nicht …«
Ein Machtwort des Abtes brachte ihn zum Verstummen. Mit seinen zehn Jahren war der Kaisersohn alt genug, um die Bedeutung dieser Tarnung zu begreifen, und er versprach sich zu fügen.
Das alte Verwalterpaar zeigte sich sehr erleichtert, endlich die Nachfolge geregelt zu sehen. Walther, Hildegunde und ihr Sohn Wieland wurden sehr herzlich empfangen.
»Ihr werdet schnell lernen, wie es hier zugeht«, versicherte die bucklige Frau, als sie das junge Paar durch den Bergfried führte, den hohen viereckigen Turm im Innenhof eines festungsähnlichen Gebildes, das halb aus Stein und halb aus Holz bestand, da es, wie Abt Markward ihnen erläutert hatte, auf den Resten eines alten Römerkastells errichtet worden war.
Die Frau stieß eine Tür auf. »Dies ist eure Kammer«, sagte sie, »es ist ein wenig eng, aber ihr habt sie für euch, und ich hoffe, ihr werdet euch hier wohlfühlen.« Judith nahm das Öltuch vom winzigen Fenster und spähte hinaus auf den Hof, wo ihr Sohn soeben die gefährlich bröcklige Außentreppe einer steinernen Ruine erklomm. Sie wollte ihm zurufen, sofort herunterzukommen, doch Ruadbern, der sich neben sie gestellt hatte, legte ihr die Hand auf den Mund. Eine Verwaltersfrau ängstigte sich nicht um einen Sohn, der auf dem Hofgelände spielte.
»Wo ist Wielands Kammer?«, fragte Judith. Ruadbern unterdrückte einen Seufzer. Noch ein paar solcher Schnitzer, und die Tarnung würde auffliegen.
»Wielands Kammer?«, fragte die Verwalterin verwirrt.
»Wir wollen wissen, bei wem er schlafen soll, da es hier in der Tat zu eng für uns drei ist«, beeilte sich Ruadbern, Judiths unbedachte Äußerung zurechtzurücken.
Judith sandte ihm einen dankbaren Blick.
Die Verwalterin zuckte mit den Schultern. »Da wird sich schon was finden«, meinte sie. »Vielleicht im Gang vor der Tür, im Bett des Bierbrauers oder bei einem anderen Gesellen.«
Der künftige Kaiser! Judith schüttelte sich.
Ruadbern erklärte, seine des Reitens ungewohnte Frau sei nach der langen Reise erschöpft. Die Verwalterin sah auf das schöne junge Paar, glaubte zu verstehen und zog die Tür hinter sich zu.
Judith blickte betroffen auf das Bett. Ruadbern brach in Gelächter aus.
»Keine Angst, Judi«, beruhigte er sie, »du wirst das Bett für dich haben; ich strecke mich auf dem Fußboden aus.«
Doch als in der Nacht der kalte Novemberwind um den Bergfried heulte, durch die Ritzen pfiff und Ruadbern sich erst die Schulter am Bett, dann den Kopf an der Wand stieß, streckte Judith ein Bein aus und stupste ihn mit ihrem großen Zeh an.
»Komm unter die Decke«, murmelte sie.
»Ich werde dich nicht berühren«, versprach er, doch das kleine Bett erlaubte nichts anderes als Berührung. Eng an ihren einstigen Edelknecht geschmiegt, kam Judith endlich zur Ruhe und gab sich bald süßen Träumen hin. Ruadbern jedoch blieb die ganze Nacht wach. Das Gefühl, die geliebte Frau zum ersten Mal so dicht bei sich zu haben, war zu kostbar, als dass er davon auch nur einen Augenblick dem Schlaf schenken wollte.
Drei Tage später brach er beim Holzhacken zusammen. Endlich gestand er Judith, die ihn in heller Aufregung mithilfe des alten Verwalters in ihre Kammer geschleppt hatte, seinen Mangel an Schlaf.
»Wenn es nur das ist!«, rief sie, legte sich zu ihm aufs Bett und küsste ihn auf den Mund.
»Jetzt wirst du erst schlafen, und dann zeige ich dir, wie sich Mann und Frau lieben.«
»Nein.« Er wollte sich aufrichten, doch sie drückte ihn in das Kissen zurück. »Ich kann den Kaiser nicht betrügen!«
»Das wirst du auch nicht«, sagte sie leise, »du liebst
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