Die Welfenkaiserin
ihnen noch übrig geblieben ist, schützen Poitiers«, erklärte Judith. Ihre Augen, die Ruadbern soeben noch an einen klaren Bergbach erinnert hatten, glichen wieder Saphiren. »Du solltest dich bei meinen Gastgebern bedanken und sie belohnen. Sie haben mir das Leben gerettet und mich beschützt.«
Judith winkte Arne und Anna herbei, die aus dem Haus getreten und in respektvoller Entfernung stehen geblieben waren. Sie näherten sich mit ihren Kindern und sanken vor König Karl auf die Knie.
»Und das«, sagte Judith, fröhlich auf die Kinder deutend, »sind Ludwig, Judith, Ruadbern und Harald.«
»Unser nächster Sohn, Herr König«, meldete sich Anna zu Wort, »wird Karl heißen.«
Karl nickte mit gnädiger Ungeduld.
»Kleide dich an, Mutter«, sagte er, ohne sein Missfallen über ihre Erscheinung zu verbergen. »Wir müssen sofort aufbrechen.«
Die Wochen bei Arne und Anna hatten Judith verändert. Als sie half, die Ernte mit einzufahren, bedachte sie, wie viele dieser Felder in den vergangenen Jahren unter den Hufen der Pferde und im Schlachtengetümmel vernichtet worden waren, wie viele Bauern nicht hatten ernten können, was sie gesät hatten, weil sie zum Kriegsdienst gerufen wurden. Wenn sie abends mit der Familie um das Herdfeuer saß, mochte sie gar nicht an die unzähligen Gehöfte denken, die in den Kriegen und Scharmützeln der vergangenen Jahre in Flammen aufgegangen waren, nicht an all die glücklichen Familien, die zerstört worden waren, weil die erste Familie des Reichs zerrüttet war. Das alles musste ein Ende haben. Ludwig hatte auf dem Sterbelager, wie einst in der Ordinatio imperii vorgesehen, Lothar zum Kaiser bestimmt, und so sollte es sein. Sie, Judith, strebte nicht mehr danach, ihren Sohn auf dem Kaiserthron zu sehen. Karl sollte sich mit seinem Königreich zufriedengeben und musste sich mit Lothar einigen.
Er hörte auf ihren Rat und versuchte es. Im November schloss er in Anwesenheit Judiths in Orleans mit Lothar einen Vertrag, der ihm Aquitanien, Septimanien, die Provence und zehn Grafschaften zwischen Seine und Loire zusicherte. Judith flehte ihren Sohn an, sich mit diesen Gebieten zu begnügen, auch wenn es weniger waren als zuvor. »Nur so kann weiterer Krieg vermieden werden«, sagte sie, wohl wissend, dass im Süden Aquitaniens Pippin II. über das wenige ihm Verbliebene murrte und Bernhard von Septimanien keinesfalls bereit war, das Land aufzugeben, das er jetzt als sein eigenes betrachtete und regierte. Als Zeichen seines guten Willens erfüllte Lothar eine Bedingung Judiths, schenkte dem einstigen dänischen König Harald Klak die Insel Walcheren und sandte ihm Truppen, die ihm bei der Abwehr von Einfällen seiner ehemaligen Landsleute helfen sollten.
Die Halbbrüder verabredeten, sich am 8. Mai des folgenden Jahres in Attigny noch einmal zu treffen, um Einzelheiten über die neue Reichsteilung auszuarbeiten.
Wieder trennten sich Mutter und Sohn. Als Judith erfuhr, dass Lothar sich noch nicht in Aachen hatte sehen lassen, ritt sie mit Ruadbern eilig dorthin, um den Kronschatz zu sichern. Auch wenn sie nur noch Königinmutter war, wusste sie, dass es der Kämmerer nicht wagen würde, ihr die Herausgabe der Herrscherinsignien zu verweigern. Am 7. Mai, einen Tag vor dem mit Lothar vereinbarten Termin, ritt Karl in Attigny ein, besetzte den Ort und betrachtete es als strategischen Vorteil, den älteren Bruder nun zu sich kommen zu lassen. Ruadbern traf gleichzeitig mit Königsmantel, Zepter und den anderen Herrscherattributen ein, die sich Karl augenblicklich anlegte, um Lothar damit einzuschüchtern.
Völlig unerwartet tauchten plötzlich in Attigny Gesandte Ludwigs von Bayern auf. Sie versicherten, dieser habe kurz zuvor Anhänger Lothars im Osten des Reichs blutig zurückgeschlagen, an Stärke und Unterstützung gewonnen und biete seinem Halbbruder ein ehrliches Bündnis an. Das stimmte mit den Berichten der Kundschafter Karls überein und fand seine Bestätigung darin, dass sich Lothar trotz der Verabredung in Attigny nicht blicken ließ. Karl, der die Verbindung mit Lothar widerstrebend und nur auf Druck seiner Mutter eingegangen war, nahm das Angebot Ludos gern an.
Unter dem Banner Kaiser Ludwigs zog Judith durch Aquitanien und sammelte Truppen für ihren Sohn. Sie ging immer noch davon aus, dass er sich mit Lothar einigen würde, wollte aber dem Stiefsohn in Attigny mit einer beeindruckenden Heeresmacht deutlich machen, welche Kräfte hinter ihrem eigenen Sohn
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