Die Welfenkaiserin
stünden. Damit waren vielleicht ein paar Länder mehr herauszuschlagen, und es könnte Lothar abschrecken, wortbrüchig zu werden. Mit einer beachtlichen Truppe ritt sie stolz in der Pfalz von Attigny ein.
»Sehr schön«, sagte Ruadbern, der sie bei ihrer Ankunft begrüßte, »aber du kannst dich auf eine Überraschung gefasst machen.«
Mehr sagte er ihr nicht, und so war sie wie vom Donner gerührt, als sie in der Königshalle ihren Sohn mit Ludwig von Bayern gemütlich beisammensitzen sah.
»Freu dich, Mutter«, sagte Karl zur Begrüßung, »wir haben uns geeinigt.« Er deutete auf Ludwig.
Mit dem falschen Bruder, wollte sie sagen, aber es hatte ihr die Stimme verschlagen. Ludo erhob sich und verneigte sich tief vor der Stiefmutter und Schwägerin.
»Hemma freut sich darauf, dich zu sehen«, sagte er. »Sie ist auch hier.«
Ich denke nicht daran, dieser höflichen Aufforderung zu folgen und mich zu den Frauengemächern zu begeben, dachte Judith verärgert. Hemma hat sich noch nie darauf gefreut, mich zu sehen. Sie ließ sich auf einem Sitz nieder.
»Lothar ist ein Verräter«, sagte Karl und winkte einem Bediensteten, seiner Mutter einen Becher Wein zu reichen.
Ludo räusperte sich.
»Die Königinmutter ist nach ihrem langen Ritt gewiss müde und möchte sich erholen«, versetzte er unfreundlich.
»Die Kaiserinwitwe ist hellwach und möchte wissen, worin sich euer Bruder des Verrats schuldig gemacht hat«, erwiderte Judith ungerührt.
»Er hat sich mit Heiden verbündet, um uns gänzlich zu vernichten«, antwortete Karl. »Unser Vater, Gott hab ihn selig, hätte ihm die Kaiserkrone abgenommen und ihn sofort wieder nach Italien verbannt!«
»Er hat eine Wikingerflotte in die Seine lotsen lassen, die Rouen gebrandschatzt und andere Weiler verheert hat«, knurrte Ludo, der die Abneigung seiner Frau gegen ihre Schwester bestens verstand. Dieses lästige Weib mischte sich in alles ein und war offensichtlich nicht loszuwerden.
»Und den Stellinga, den Aufrührern in Sachsen, hat Lothar sogar die Rückkehr zu heidnischen Gewohnheiten gestattet, wenn sie ihn unterstützten, stell dir das nur vor«, setzte Karl erregt hinzu. »Die beten jetzt wieder ihre Quellen, Steine und Bäume an! Hätte Vater das etwa gewollt?«
Judith schloss die Augen. Baum unter Bäumen dachte sie, Stätten der Macht im Wald, die Vielzahl der Götter, die Ahnen, das Orakel des Vogelflugs, wem hat das geschadet? Der Ring in der Glut … Sie öffnete die Augen und sah ihren Sohn erwartungsvoll an.
»Deswegen«, schloss Karl, »unterwerfen wir uns jetzt einem Gottesurteil.«
Verständnislos blickte Judith von einem zum anderen.
»Eine Schlacht«, sagte Ludo trocken. »Karl und ich gegen Lothar und unseren Neffen Pippin, der sich von ihm hat einwickeln lassen. Wenn Gott uns den Sieg schenkt, und das wird er, weil wir in seinem Namen auftreten, teilen wir das Reich unter uns beiden auf. Dann mag Lothar zusehen, wo er bleibt.«
Niemand achtete darauf oder störte sich daran, dass die Königinmutter in ihrem Zelt auf einem Feld nahe der Ortschaft Fontenoy südlich von Auxerre nicht allein nächtigte. Zu beschäftigt war jedermann mit der Vorbereitung auf die große Schlacht, die nach einem Waffenstillstand von vier Tagen losbrechen sollte. Da der Ausgang als Gottesurteil betrachtet wurde, hatten sich die Brüder darauf geeinigt, nicht an einem Sonntag zu kämpfen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Frankenreiches war ein genauer Zeitpunkt für den Beginn einer kriegerischen Auseinandersetzung anberaumt worden – acht Uhr morgens nach der Messe. Insgesamt waren fast dreihunderttausend Kämpfer aufgeboten worden – die gesamte Elite des Frankenreiches –, und nicht nur an der Spitze der Heere standen sich Brüder und andere Verwandte gegenüber. Viele Recken, die jahre- oder sogar jahrzehntelang gemeinsam gegen Heiden aus dem Norden, Süden und Osten zu Felde gezogen waren, zusammen die Grenzen des Reiches geschützt und einander das Leben gerettet hatten, würden sich jetzt an diesem 25. Juni 841 gegenseitig erschlagen. Weil sich die Söhne Ludwigs des Frommen um ihr Erbe stritten.
Judith klammerte sich an Ruadbern. »Liegt die Schuld bei mir«, fragte sie, »weil ich nicht zulassen wollte, dass Karl leer ausgeht?«
Ruadbern schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er, »auch wenn spätere Geschichtsschreiber mit dieser Begründung vielleicht eine wohlfeile Erklärung für das Unfassbare finden werden.« Er strich ihr sanft über
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