Die Welfenkaiserin
das immer noch schöne Gesicht. »Seit Anbeginn der Welt wird das Weib als Auslöserin der Erbsünde geprügelt. Doch Lothar, Ludwig und Pippin hätten sich auch ohne Karls Geburt um die Macht gestritten. Du kannst dich doch sicherlich noch daran erinnern, wie sie sich schon als Knaben fast die Köpfe eingeschlagen hätten! Wie keiner dem anderen je den Sieg gegönnt hat.«
»Lothar hat immer gesiegt«, flüsterte Judith und begann zu weinen.
Ruadbern nahm sie in die Arme und wiegte sie wie ein Kind. »Vielleicht«, flüsterte er ihr tröstend ins Ohr, »geht es doch noch glimpflich aus. Vielleicht wird es wie auf dem Lügenfeld von Colmar zu keinerlei Blutvergießen kommen. Karl und Ludwig führen mehr Truppen an als Lothar und Pippin, vielleicht laufen deren Männer gar zu uns über …«
Judith riss sich von ihm los und setzte sich auf.
»Sprich zu mir nicht wie zu einem kleinen Kind!«, wies sie Ruadbern scharf zurecht. »Es ist zu spät. Gut, dass Ludwig dies nicht mehr erlebt. Dass seine Söhne die Waffen gegeneinander erheben, Christen gegen Christen, Franken gegen Franken, Verwandte gegen Verwandte, und mehr Blut vergossen werden wird als je bei einer Schlacht zuvor.«
Sie sollte recht behalten.
Im Morgengrauen des 25. Juni lenkte sie ihren Zelter auf eine Anhöhe nahe der Ortschaft Le Fay. Von fern hörte sie dumpfes Trommelschlagen, das die Krieger in beiden Lagern zur Frühmesse rief. Judith bekreuzigte sich, als sie über die unzähligen gebeugten Häupter von Karls Heer blickte, und beobachtete, wie die Männer am Ende der Messe jauchzend ihre Schwerter in die Höhe reckten. Eine Fülle umgekehrter Kreuze, dachte Judith voller Unbehagen. Des Teufels Zeichen als sein Werkzeug!
Ihr Sohn und Ludwig verließen nun rasch mit ihren Heeren das Lager und stellten sich in Schlachtordnung auf. Lothar und Pippins Mannen standen ihnen bereits gegenüber. Truppen, so weit das Auge reichte. Hunderttausende von wild entschlossenen Kämpfern, die bereit waren, ihr Leben zu lassen, damit ihr Herr mehr Gebiete für sich beanspruchen konnte. Fast war es, als wäre für dieses Gottesurteil, wie ihr Sohn diesen Kampf bezeichnet hatte, die gesamte männliche Bevölkerung des Reichs aufgeboten worden. Ludwig von Bayern bildete mit seinen Deutschen den rechten Flügel, Karl hatte sich einen Hügel in der Mitte ausgesucht, und neustrische und aquitanische Truppen machten unter Leitung des Grafen Adalhard den linken Flügel aus.
Ludwig gegenüber stand Lothar, und Pippin hatte sich dem linken Flügel zugewandt. Judith war ein wenig beruhigt, als sie erkannte, dass die Mitte des gegnerischen Heeres, mit der sich Karl auseinanderzusetzen hatte, recht unbedeutend und uneinheitlich aussah, wie eine Horde von kampfunerprobten Bauern. Nahe Karl machte sie die hünenhafte Gestalt Abt Markwards aus, und auch das stimmte sie etwas zuversichtlicher. Der Gottesmann im Kriegergewand würde mit seinem Leib ihren Sohn schützen.
Wie verabredet brach um acht Uhr morgens die Schlacht los. Judith blieb das Herz fast stehen, als sie zusah, wie ihr Sohn mit seinen Truppen den Hügel hinabstürmte. Sie konnte und wollte Einzelheiten nicht sehen, fürchtete das Schlimmste und wandte den Blick zur Seite. Starr vor Schreck, sah sie am Fuße ihrer Anhöhe eine weitere Truppe heranrücken. Es war undeutlich, zu welcher Partei sie gehörte, ob dies eine Verstärkung für ihren Sohn und Ludo oder für Lothar und Pippin bedeutete. Die mehrere Tausend Mann umfassende Truppe stürzte sich jedoch nicht in das Getümmel, sondern machte ein paar Hundert Fuß vom Geschehen entfernt plötzlich Halt. Judith strengte die Augen an, konnte die Farben der Kämpfer dennoch nicht ausmachen. Sie gab ihrem Pferd die Gerte und rückte vorsichtig näher heran.
Als sie das Banner erkannte, ritt sie, ohne auch nur einen Augenblick nachzudenken, auf den Anführer zu.
Der verfolgte das Gemetzel unmittelbar vor sich mit solcher Hingabe, dass er die Frau auf dem Pferd erst wahrnahm, als sie ihm die Sicht versperrte.
»Was steht ihr hier rum!«, brüllte sie außer sich. »Du hast deinem Sohn Treue geschworen! Eil ihm zur Hilfe!«
»Begib dich lieber wieder auf deinen Aussichtsposten«, gab Bernhard gelassen zurück und verrenkte den Kopf, um an Judiths Pferd vorbeisehen zu können. »Womöglich verpasst du sonst, dass ein Enkel Karl Martells als Kaiser aus dieser Schlacht hervorgehen wird. Ohne dass er dafür …«, und als er sie jetzt erstmals ansah, gefror das
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