Die Welfenkaiserin
hätten höchstens der Miene des Kaisers entnehmen können, was er von der jeweiligen Jungfrau hielt, da das Fragegespräch mit leisen Stimmen geführt wurde. Doch in Ludwigs Gesicht war zunächst nichts zu lesen. Erst als sich Irmingard von Tours vor ihm verneigte, zeigte sich ein kleines Lächeln um seinen Mund. Es konnte niemandem entgehen, dass er sich mit ihr länger unterhielt als mit den acht vorangegangenen Mädchen.
»Diese Frau ist eiskalt und berechnend«, flüsterte Lothar dem gleichaltrigen Bernhard zu. Es schwang eine gewisse Hochachtung in seiner Stimme mit. Bernhard biss sich auf die Lippen. Das ist wohl allen Irmingards eigen, wäre ihm beinahe entrutscht, aber ein solcher Bezug zu seiner geliebten Mutter hätte ihm der Kaisersohn mit Sicherheit nicht vergeben.
Judiths Bitte, der Brautschau fernbleiben zu dürfen, hatte ihr die Äbtissin ebenso wenig gewährt wie den danach geäußerten Wunsch, sich wenigstens ein Tuch umhängen oder eine Haube aufsetzen zu dürfen. »Wenn er dich überhaupt ansieht und befragt, wirst du dir etwas einfallen lassen müssen, um dem Kaiser das Fehlen deines wichtigsten Attributs zu erklären«, hatte sie Judith beschieden. Also hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben.
Als sie an der Reihe war vorzutreten, verneigte sie sich würdevoll vor dem Kaiser.
Einhard stotterte, während er ihren Namen aussprach, denn erst jetzt begriff er, dass es sich um ein Mädchen handelte, das früher am Hof gelebt und dessen Wissensdurst er einst sehr geschätzt hatte. Aber was fiel ihr ein, mit der Haartracht eines aquitanischen Kriegers vor den Kaiser zu treten! Am liebsten hätte er sie sogleich gemaßregelt. Doch er schluckte seinen Unmut hinunter und stellte sie mit Namen und Vatersnamen dem Kaiser vor. Der schloss einen Augenblick vor Entsetzen – wie es allen schien – die Augen und kam dann ohne Umschweife zur Sache. Seine Stimme klang jedoch weicher, als sein Gesichtsausdruck hatte vermuten lassen: »Wo sind deine Haare?«
»Die wurden mir in der Nacht heimlich abgeschnitten.«
»Wer hat so etwas getan?«
»Würden sie mir etwa wieder anwachsen, wenn ich es wüsste?«
Der Hofstaat hielt den Atem an. Man stellte dem Kaiser keine Fragen. Die Äbtissin stieß unwillkürlich einen empörten Laut aus. Sie hatte den Mädchen genaue Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg gegeben. Dazu gehörte auch, den Kaiser erst dann anzusehen, wenn er die Erlaubnis dazu erteilte.
Judith jedoch blickte Ludwig unaufgefordert geradewegs in die Augen, als er fragte: »Habe ich dich nicht schon früher hier am Hof gesehen? Du kommst mir auf gewisse Weise bekannt vor.«
»Woran solltet Ihr mich erkennen, da mir doch mein wichtigstes Attribut fehlt?«
Ihre tiefe Stimme schien im Raum zu vibrieren.
Die Äbtissin griff sich an die Brust. Sie konnte kaum noch atmen. Da es ungehörig gewesen wäre, vor dem Kaiser lautstark nach Luft zu schnappen, lief sie rot an, fiel um und blieb reglos auf dem Marmorboden liegen.
Der Kaiser fasste sich an die Stirn, als habe ihn ein plötzlicher Kopfschmerz erfasst. Ohne Judith oder die anderen Mädchen noch eines Blickes zu würdigen, erhob er sich.
»Kümmert euch um die gute Frau«, murmelte er und wandte sich zum Gehen. Er wollte in die Pfalzkapelle, brauchte jetzt dringend das Gebet, denn beim Anblick dieses Mädchens war etwas höchst Seltsames geschehen. Nickend forderte er die beiden Erzbischöfe auf, ihm zu folgen, lehnte jedoch jedes andere Geleit ab. Die Mitglieder des Hofstaates sahen einander verdutzt an. Die nach der Vorführung der Mädchen vorgesehene Beratung sollte offenbar ausfallen.
Bis sich die Tür hinter dem Kaiser geschlossen hatte, herrschte Totenstille im Saal. Die Äbtissin lag noch da, wie sie gefallen war. Judith kniete neben ihr und hatte eine Hand an ihren Hals gelegt.
Sie blickte auf.
»Ihr Herz schlägt noch«, versicherte sie mit so fester Stimme, als hätte nicht sie dieses Übel bewirkt. Sie merkte nicht, dass niemand sie hörte, denn es war ein Tumult ausgebrochen. Aufgeregt wurde durcheinander geschrien, jeder im Raum schien in Bewegung geraten zu sein. Die Mädchen waren laut kreischend vor Judith und der gestürzten Äbtissin zurückgewichen, die jungen Männer, gestikulierend und aufgeregt miteinander redend, hingegen näher herangetreten. Jetzt erst sah Judith, dass sich auch ihr Bruder Konrad in der Königshalle aufgehalten hatte.
Konrad war zu weit entfernt gewesen, um den Wortwechsel mitbekommen zu haben, aber
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