Die Welfenkaiserin
aufgewendet, um die strengen Auswahlkriterien zu umgehen, in unglaublich kurzer Zeit seine beiden Töchter nach Aachen zu befördern und sie noch vor der Brautschau Vater und Sohn vorzustellen. Jetzt warf er Bernhard, dem Sohn des Grafen von Toulouse, einen Blick zu. Dessen eigene Schwester, die wahrsagende Nonne Gerberga, hatte schließlich keinen Zweifel daran gelassen, dass Irmingard zur Kaiserin erhoben würde. Bernhard, der Patensohn des Kaisers, bat um das Wort. Ludwig gewährte es ihm gnädig.
»Ist es auch mir gestattet, an deiner Seite die schönen Frauen zu bewundern?«, fragte er schüchtern.
Ludwig erhob sich, trat auf Bernhard zu und schlug ihm milde lächelnd auf die Schulter.
»Es sei dir gestattet. Sieh dich unter den Schönen um und such dir eine aus!«, erklärte er und forderte mit einer Handbewegung alle Anwesenden auf, ihm zum Treppenhaus im östlichen Turm zu folgen.
Harald Klak blieb nichts anderes übrig, als sich der Prozession anzuschließen und zu hoffen, dass der Kaiser seine Entscheidung schnell treffen und sich dann ohne große Vorträge über die Vorzüge des christlichen Wasserrituals endlich der dänischen Frage zuwenden würde. Die Zeit drängte.
Voller Staunen sog der Dänenkönig die Luft ein, als er die Königshalle betrat. Noch nie hatte er einen solch eindrucksvollen Raum gesehen. Er überschlug, dass er etwa hundertfünfzig Fuß lang und weit über fünfzig Fuß breit sein musste, und erinnerte sich, gehört zu haben, dass dieses Gebäude einer römischen Königsbasilika nachempfunden sein sollte. Beeindruckt betrachtete Harald Klak die zwei Reihen von Glasfenstern, durch die das Licht der untergehenden Sonne in den Saal fiel und die farbenprächtigen Szenen an den Wänden zum Leuchten brachte. Könnten solche Fenster dem dänischen Winter standhalten, fragte er sich und gab sich kurz dem Traum hin, mit einem derartigen Bauwerk auch seine künftigen Untertanen zu beeindrucken. Die Decke wurde von mächtigen Säulen getragen, je eine Apsis im Norden, Süden und Westen lockerte die Strenge der viereckigen Königshalle auf, und der Fußboden bestand aus feinstem Marmor.
Der Kaiser achtete nicht auf die Mädchengruppe, die sich in dem riesigen Raum seltsam klein ausnahm, sondern ging erhobenen Hauptes auf seinen Thron in der nördlichen Apsis zu.
Er ist ja gar nicht so alt, war Judiths erster Gedanke, als er an den Mädchen vorbeischritt, und er sieht ja auch recht gut aus! Viel besser als sein Vater. Er ist fast so groß wie Kaiser Karl, aber schlanker, mit schöneren Beinen, breiteren Schultern und längerem Hals. Später sollte sie feststellen, dass auch Ludwigs Worte dem Ohr angenehmer waren als die hohe und oftmals fast schrille Stimme seines Vaters. Alles in allem empfand sie den Kaiser als eine durchaus erfreuliche Erscheinung. Was aber nichts daran ändern würde, dass ein Mädchen ohne Haarschopf kaum sein Wohlgefallen erregen dürfte.
Nachdem der Kaiser auf dem Thron Platz genommen hatte und sich seine Söhne, die Erzbischöfe, sein Patensohn und andere Mitglieder des Hofes zu seiner Rechten wie Linken aufgestellt hatten, übernahm Einhard die einführenden Worte. Das Ganze erinnerte an eine Prüfung der kaiserlichen Hofschule. Es war dem klein gewachsenen Mann anzumerken, wie wenig erquicklich er diese Aufgabe fand, auch wenn er sich mühte, heiter zu erscheinen.
Harald Klak hielt sich im Hintergrund, beobachtete aber alles sehr genau. Wenn er schon zum Ausharren in Aachen gezwungen war, konnte es nicht schaden, sich mit den Heiratsriten der christlichen Herrscher vertraut zu machen.
Während er innerlich seufzend feststellte, dass ihm die einsetzende Dunkelheit die Abreise an diesem Tag ohnehin nicht mehr erlauben würde, beobachtete er, wie siebzehn Mädchen in einer Reihe langsam am Kaiser vorbeizogen. Eine erschien ihm schöner als die andere, und alle hatten die Blicke züchtig zu Boden geschlagen. Das goldblonde Kurzhaar der letzten Bewerberin erregte sein Erstaunen; in seinem Land wurde nur solchen Mädchen der Zopf abgeschnitten, die sich eines üblen Vergehens schuldig gemacht hatten. Doch seltsamerweise kam die Schönheit dieser Frau besser zur Geltung als bei den anderen Mädchen, die sich durch die langen Haarvorhänge nur wenig voneinander unterschieden. Zumal alle ähnliche schlichte weiße Linnenkleider trugen. Im Anschluss an die Prozession wurden die Mädchen dem Kaiser einzeln vorgestellt. Die Beobachter, die wie Harald Klak abseits standen,
Weitere Kostenlose Bücher