Die Welfenkaiserin
Niemand hatte sie gehört. Sie konnte ihrem Herzen weiter Luft machen, das Rumoren in ihren Eingeweiden beruhigen und Ludwig zur Vernunft rufen.
»Du bist der Kaiser! Du musst Stärke zeigen, nicht Schwäche! Lass die Vergangenheit ruhen, kümmere dich um die Gegenwart. Um die Armut deiner Untertanen …« Graf Walas gestriger Vortrag fiel ihr ein: »… um die furchtbaren Zustände in Italien, die dortige Korruption und Rechtlosigkeit …«
»… auch meine Schuld. Weil ich meinen Neffen König Bernhard von Italien umgebracht habe.«
»Du hast ihn nicht umgebracht, sondern blenden lassen. Schlimm, dass er daran gestorben …«
Ein Pfeil streifte ihren Umhang. Ohne nachzudenken, drückte Judith entsetzt ihrem Pferd die Fersen in die Flanken, doch es war zu spät. Eine Horde dunkler Gestalten preschte mit Gebrüll aus dem Wald, stürzte sich auf das vermeintlich einsame Paar und riss es von den Pferden.
Judith wurde der hermelinbesetzte Mantel vom Leib, eine Goldkette vom Hals und der Ring vom Finger gerissen. Sie schrie, schlug um sich, verteilte Tritte und Bisse und wurde erst still, als sie ein Messer an ihrer Kehle spürte.
Hufgetrappel.
»Reiter! Fort!«
So schnell, wie sie erschienen waren, verschwanden die Gestalten. Männer der Scara sprengten ihnen hinterher.
Judith fasste sich an den Hals. Ohne das Blut an ihren Fingern zu beachten, stürzte sie auf Ludwig zu, der reglos am Boden lag. Sie schüttelte ihn. Langsam öffnete er die Augen.
»Was ist geschehen?«, fragte er verstört, setzte sich mühsam auf und starrte auf seinen Arm. »Ich blute!«
»Es ist mein Blut, nicht deins«, sagte Judith, die es bei diesen Worten eiskalt durchfuhr.
Zwei Leibwächter des Kaisers hockten jetzt neben ihnen. »Ihr habt einen Schlag auf den Kopf erhalten«, sagte einer zu Ludwig. »Haltet Euch still. Wir bauen eine Sänfte und tragen Euch.«
»Nein.«
Mühsam, aber entschlossen erhob sich Ludwig. Er konnte nicht liegend in Attigny ankommen. Das würde die Wirkung seines Bußgangs zunichte machen.
»Wer hat uns überfallen?«
»Räuber«, erwiderte der Leibwächter. »Aber sie werden nicht weit kommen. Wir hätten Euch nicht allein lassen dürfen!«
»Am helllichten Tag überfallen Räuber den Reisezug des Kaisers«, murmelte Ludwig. »Wie konnte es nur so weit kommen?«
Judith schmiegte sich an ihn und flüsterte ihm ins Ohr: »Genau darüber hatten wir gerade geredet – über die Zustände im Reich, die es zu bereinigen gilt.« Sie lehnte sich zurück und sah ihm flehentlich in die Augen. Er starrte auf ihren Hals.
»Sie haben dir Gewalt angetan!«
»Nur ein oberflächlicher Schnitt«, erwiderte sie beruhigend. Die Wunde schmerzte nicht einmal.
Dem noch immer leicht benommenen Kaiser verlieh seine Wut Kräfte. Er erhob sich und brüllte in den Wald: »Tötet sie alle!«
Dann stürzte er zu Boden.
Die Scara streckte elf der Angreifer nieder und kehrte mit des Kaisers Schwert sowie Judiths Kette und Mantel zurück. Judith hatte befohlen, auf einer Lichtung das Lager aufzuschlagen. Sie würden erst weiterreiten, wenn sich der Kaiser wieder auf seinem Pferd halten konnte. Den Bau einer Sänfte lehnte auch sie ab.
In der Nacht, als das Feuer schon fast niedergebrannt war und außer der Wache alle schliefen, versuchte Ruadbern sie umzustimmen. Leise, um das schlafende Gefolge nicht zu stören, huschte er an ihre Seite. »Wir sollten gleich morgen früh weiterziehen. In Attigny kann der Kaiser besser versorgt werden«, sagte er. »Und du auch.«
»Mir geht es gut. Vielleicht verbleibt ja eine interessante Narbe.«
Ruadbern senkte den Blick. »Ich mache mir Vorwürfe«, sagte er fast unhörbar. »Ich habe doch geschworen, dich zu beschützen.«
Nachdem Judith zur Kaiserin gekrönt worden war, hatte Ruadbern Ludwig inständig darum gebeten, seiner Gemahlin als Edelknecht dienen zu dürfen. Judith war zutiefst gerührt, als sich ihr der sonst stets so ernste Knabe mit strahlenden Augen zu Füßen warf und ihr ewige Treue schwor.
»Du hättest nichts tun können. Manchmal wollen Mann und Frau allein sein«, versuchte sie ihm sein Schuldgefühl auszureden und bedeutete ihm, sich wieder auf sein Lager zu begeben. Sie war müde und wollte sich neben Ludwig betten, der wenige Fuß entfernt von ihr lag.
»Judith?«, hörte sie ihn heiser flüstern. Voller Sorge, dass sich sein Zustand verschlechtert haben könnte, eilte sie an seine Seite. Seine Augen spiegelten hell und klar das Mondlicht wider. Er
Weitere Kostenlose Bücher