Die Welfenkaiserin
Kirche, als er seinen Rücken entblößte und laut rief: »Züchtige mich für meine Sünden!«
Verwirrt blickte der Totengräber zu den Bischöfen hinüber.
»Schlag zu!«, forderte ihn Agobard von Lyon auf.
Die Stille in der Kirche war jetzt unerträglich.
Der Totengräber zögerte immer noch.
»Schlag zu!«, kam plötzlich ein Echo aus der Gemeinde. Rasch vervielfältigte es sich und wurde bald laut von rhythmischem Stampfen begleitet.
»Schlag zu, schlag zu, schlag zu!«
Judith versteinerte, als der Totengräber die Peitsche auf Ludwigs nackten Rücken niedersausen ließ, einmal, zweimal … Sie schloss die Augen und stellte sich vor, an einem Herrensitz wie Altdorf mit der Küchenmagd die letzte Abrechnung durchzugehen. Sie erfand Preise für Wild, Wein, Gerste und Hafer und zählte alles zusammen. Als sie bei einer erschreckend hohen Summe angekommen war, hob sie die Lider und vernahm, wie Ludwig den Bischöfen für die Gnade dankte, eine Buße empfangen zu dürfen. Gleich am nächsten Tag werde er sich in die Kirche begeben und dort zwei Tage verharren, sagte er, kehrte auf den Thron an Judiths Seite zurück, griff nach ihrer Hand und drückte sie fest.
»Alles wird wieder gut«, flüsterte er ihr zu.
Es kostete sie große Mühe, sich ihr Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Ludwigs Taten waren grauenhaft und unverzeihlich gewesen, aber welche Folgen würde ein solcher Kirchenauftritt für seine Autorität haben? Wie handlungsfähig konnte ein Kaiser sein, der sich derart erniedrigt hatte? Wie überzeugend? Ein Häufchen Elend, das sich, angefeuert vom niedrigen Volk, vor aller Welt vom Totengräber der Domäne auspeitschen ließ! Wer immer Ludwig diese Ungeheuerlichkeit eingeredet hatte, gehörte selbst ausgepeitscht! Finster musterte sie Agobard und Ebbo. Es musste einer von ihnen gewesen sein.
Sie setzte ein hochmütiges Gesicht auf und wandte sich um. In den Mienen seiner Söhne las sie Häme, in denen vieler Grafen und Kirchenleute Genugtuung und in denen des einfachen Volkes träge Neugier.
Die Messe wurde wieder aufgenommen, als wäre nichts geschehen. Danach stieg Ludwig mit hängenden Schultern und niedergeschlagenem Blick vom Thron. Judith hätte ihm am liebsten einen Schubs gegeben. Geh wenigstens jetzt aufrecht, du bist doch immer noch der Kaiser! Verzweifelt versuchte sie, ihm ihre Gedanken einzugeben. Du hast die Buße empfangen, bist entschuldet und entschuldest dich morgen und übermorgen weiter, also wahre Haltung und bewege dich stolz! Lächle mild, nicke den Würdenträgern zu, bedenke deine Stellung, sei der Herr und Kaiser, der du bist!
Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht, versuchte sie sich zu trösten, als sie feststellen musste, dass die Kraft ihrer Gedanken keine Veränderung in Ludwigs Haltung bewirkte.
Dann werde eben ich Würde für zwei ausstrahlen, dachte sie und schritt hoheitsvoller denn je zuvor in ihrem Leben neben Ludwig dem Ausgang zu. Beim Anblick bekannter Edler neigte sie majestätisch das Haupt zur Seite. Mit gebieterisch erhobener Hand hielt sie die Wachen zurück, als eine Bäuerin in armseliger Tracht den Saum ihres Kleides küssen wollte. Sie wusste um ihre Wirkung und vernahm befriedigt geraunte Lobpreisungen ihrer Schönheit. Sie hoffte, dass angesichts ihrer außerordentlich hehren Erscheinung kaum jemand auf den vergrämten Kaiser neben ihr achten würde. Fast hatte sie das Portal erreicht, als sie in zwei zugefrorene Teiche blickte und mit einem Schlag alle Erhabenheit von ihr abfiel.
Bernhard verbeugte sich nicht sonderlich tief vor dem kaiserlichen Paar. Ludwigs Augen erhellten sich. Er blieb stehen.
»Ich hoffe, dein Vater hat sich erholt?«, fragte er den jungen Mann.
»Er ist jetzt bei Gott, geliebter Kaiser«, erwiderte Bernhard. »Darum bitte ich, an den Hof zurückkehren zu dürfen.«
»Es ist dir gewährt und mir eine Freude«, erwiderte Ludwig. »Friede der Seele deines Vaters.« Judith sah verblüfft zu ihm hin. Er hatte den Kopf endlich wieder gehoben.
Am liebsten hätte Judith an diesem Abend Kopfschmerzen vorgetäuscht. Doch es war undenkbar, nach dem Geschehen in der Kirche und vor den kommenden Bußtagen des Kaisers nicht gemeinsam mit ihm an der Tafel zu erscheinen. Bernhard hatte die Stirn gehabt, Ludwig um Rückkehr an den Hof zu bitten. Sie würde ihm nicht ausweichen können. Die Sehnsucht nach kräftigen Armen, in denen sie Vergessenheit finden könnte, würde sie aber bekämpfen müssen. Trotz des hässlichen
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