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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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geboren hatte. Während sie auf dem Hügel vor der Domäne den langen Reisezug des Kaisers herannahen sahen, kleidete Lothar den beiden Brüdern gegenüber seinen Argwohn in Worte: »Keiner von uns sitzt sicher auf seinem Thron. Sobald die Kaiserin einem Knaben das Leben schenkt, wird der Vater die Ordinatio imperii umstoßen und diesem Sohn Vorrang einräumen.« Auf den Einwand Ludos, die geplante Reichsteilung sei doch gerade erst wieder bestätigt worden, lachte Lothar höhnisch auf. »Und wenn noch hundertmal darauf geschworen wird! Hast du je erlebt, dass er seiner geliebten Judith etwas abgeschlagen hat? Passt nur auf! Sie wird ihren schönen Mund aufmachen, sich … schnapp … in unsere Länder verbeißen und so viel sie nur kann für ihren Sohn oder gar für ihre Söhne abreißen. Und uns wird sie mit ihren hübschen weißen Zähnchen zermalmen, verschlucken und verdauen. Und wenn wir schließlich ausgeschieden sind, können wir uns gleich begraben lassen, und sie singt dazu mit ihrer lieblich rauen Stimme.«
    »Du übertreibst«, erklärte Ludo. »Niemand hält sich strenger an Gesetze, Bestimmungen und Gebote als unser Vater. Keine Frau wird daran etwas ändern können.«
    »Wir sollten bald darauf bestehen, mit größeren Kompetenzen ausgestattet zu werden«, warf Pippin ein. »Da hat die Kaiserin kein Mitspracherecht.«
    Lothar schnaubte verächtlich. »Ihr mögt euch ja von einer niedlichen Larve täuschen lassen, Brüder, mir aber muss keiner erzählen, wozu Frauen fähig sind!«
    Pippin und Ludo sahen einander an und brachen in Gelächter aus. Lothar hatte es mit Irmingard wahrlich nicht leicht!
    »Kommt, lasst uns ihnen entgegenreiten!«, rief Pippin fast übermütig und forderte seine Brüder zu einem Wettritt heraus.
    Judith erschrak, als sie in der Kirche von Attigny in die Gesichter der Menschen blickte und in fast jedem so etwas wie freudige Erwartung las. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht vom geplanten Bußgang des Kaisers verbreitet. Die Menschen sind bösartig, dachte sie. Ihrem Mann stand der schwerste Gang seines Lebens bevor, und seine Untertanen schienen das auch noch zu genießen! Genau das hatte sie befürchtet.
    Während der Messe erhob sich Ludwig von seinem Thron. Er hatte sein schlichtestes Gewand angelegt, trug keinen Schmuck, nicht einmal seine Krone, als er auf die Reihe der Erzbischöfe vor dem Altar zuschritt. Demütig senkte er das Haupt, ehe er in die große Menge blickte, die sich eingefunden hatte, um einen Auftritt zu erleben, der unter Karl dem Großen undenkbar gewesen wäre.
    »Ich habe gefehlt«, sprach Ludwig mit deutlich vernehmbarer Stimme. »Ich habe schwer gefehlt. Gegen meine Brüder und Vettern. Ich bin schuldig am Tod meines Neffen Bernhard von Italien. Ich habe das meinem Vater gegebene Versprechen gebrochen, als ich meine Brüder Hugo, Drogo und Theoderich scheren und in Klöster einweisen ließ. Ich habe zu Unrecht meine Vettern Adalhard und Wala in die Verbannung geschickt.«
    In der Kirche wurde es unruhig. »Pfui!«, rief ein Mann. »Absetzen!«, ein anderer. Judith zuckte zusammen, doch Ludwig machte unbeirrt weiter. Tief vor das Kreuz gebeugt, zählte er weitere Sünden auf und bat dann die versammelten Bischöfe, ihm für seine Verstöße eine Buße aufzuerlegen. Ehe er die Buße benannte, gestand Agobard von Lyon als Wortführer der Bischöfe unumwunden auch Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit der Kirchenmänner ein. In ihrem Namen gelobte er Besserung und verurteilte den Kaiser dazu, zwei Tage ohne feste Nahrung auf den Knien in der Kirche zu verbleiben und sich dem Gebet hinzugeben. Außerdem sollte er eine sehr hohe Summe an Almosen verteilen. Ungeduldig hörte sich Judith alles an, hoffend, Ludwig würde sich nicht auch noch selbst vor allen Leuten geißeln, wie er ihr angekündigt hatte.
    Es kam noch schlimmer.
    Der Kaiser ergriff die lederne Peitsche, die ihm Ebbo reichte, wandte sich an die Gemeinde und rief mit klar vernehmlicher Stimme: »Der Niedrigste in diesem Gotteshaus möge hervortreten!«
    Betroffene Stille. Judith wagte kaum zu atmen.
    »Ich flehe euch an, geliebte Menschen, schickt ihn zu mir hinauf, den Niedrigsten aus eurer Mitte!«
    Gemurmel, Getuschel, schließlich wurde ein alter gebeugter Mann in einem schwarzen Kittel nach vorn geschoben. »Der Totengräber!«, hörte Judith zu ihrem Entsetzen.
    Ludwig lächelte den Mann dankbar an, reichte ihm die Geißel und kniete nieder. Ungläubiges Raunen ging durch die

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