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Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Jagdunfälle so manch eine Erinnerung an das ansonsten so fröhliche Waidwerk.
    Aber Judith hatte ein Machtwort gesprochen und wich, wie üblich, nicht von der Seite ihres Sohnes. Während Wildschweine und ein Auerochse über den Feuern rösteten, gab sie Ruadbern ein Zeichen. Der Edelknecht verschwand hinter den Bäumen. Als er zurückkam, führte er ein widerstrebendes kleines Reh an einem Strick mit sich. Er band es an einen Baum in der Mitte des Kreises, den die Jagdgesellschaft inzwischen gebildet hatte.
    »Also los, Karl«, forderte der Kaiser seinen Sohn auf. »Zeig uns mal, was du kannst!«
    Die Zuschauer feuerten den Knaben an und brachen in gutherziges Gelächter aus, als Karl mit entschlossenem Gesicht, aber wenig zielgerichtetem Erfolg seine Kinderlanze auf das Tier warf. Ganz der Vater, dachte Lothar, immer am Punkt vorbei. Der kleine Karl nahm die Lanze wieder zur Hand und begann so wild auf das Reh einzustechen, dass aus vielen Wunden Blut troff. Das Tier wand sich, rieb sich am Baum und stieß gellende Laute aus. Karl hielt sich die Ohren zu und sah sich nach seinem Publikum um, das inzwischen still geworden war.
    »Du musst die begonnene Arbeit beenden«, forderte ihn Ludwig mit ungewöhnlicher Strenge in der Stimme auf. Karl nickte verzagt. Dann überwand er seine Angst vor dem blutüberströmten, schreienden Tier, warf seine Lanze zur Seite und versuchte vergeblich, dem Reh mit seinem Schwert den Kopf abzusäbeln. Schließlich sprang der Knecht Arne herbei und zeigte Karl, in welches Körperteil er sein Kinderschwert hineintreiben sollte, damit das Tier endlich Ruhe gab.
    »Es ist tot!«, rief Karl schließlich, unter Tränen triumphierend lachend, und band das Reh selbst los. Als es zu Boden fiel, stellte er einen Fuß auf den blutgetränkten Rücken und rief stolz: »Ich habe gesiegt!«
    Judith sprang auf. Ihre Stimme zitterte, als sie Karl von dem Kadaver herunterriss und sagte: »Und weil du gesiegt hast, Karl, bedankst du dich jetzt bei dem Tier, das sein Leben geopfert hat, damit wir satt werden.«
    Verständnislos sah der Knabe zu ihr auf. »Aber es hat sich doch gewehrt und wollte gar nicht sterben«, entgegnete er.
    »Tu, was ich dir sage! Entschuldige dich, und bedank dich bei dem toten Reh! Ehre es, denn es war ein würdiger Gegner.«
    Karl blickte unsicher zu seinem Vater. Der nickte ihm aufmunternd zu. Erzbischof Ebbo, der später die Speisen weihen würde, musterte Judith vorwurfsvoll aus seinen verquollenen Augenspalten. Da meldet sich das heidnische Blut in ihr, dachte er, und die Erziehung der Kaiserdirne Gerswind! Wehe ihr, wenn sie auch noch dem Baum selbst einen ehrfurchtsvollen Blick schenkt! Gerade er, der aus einer heidnischen Sachsenfamilie stammte, durfte sich da keine Nachsicht erlauben. Aber genau deshalb hatte er auch ein so untrügliches Auge für unchristliche Handlungen. Und Judith, das wusste er jetzt ganz sicher, betrieb unchristliche Zauberei.
    Er war höchst überrascht und geschmeichelt gewesen, als ihn der Brief mit dem Diamantring der Kaiserin in Dänemark erreicht hatte. Zumal er selbst, anders als die meisten Bischöfe in Rom, bisher keinen Ring besaß, den die Gläubigen küssen könnten. Judiths prächtiger und sehr auffälliger Diamantring würde sich dafür hervorragend eignen. Er nahm sich vor, den Ring selbst zu weihen; mit dem dafür vorgesehenen Spruch: Nimm den Ring, das Siegel der Treue, damit du Gottes heilige Braut, die Kirche, geschmückt durch unwandelbare Treue, unverletzt behütest. Allerdings würde er das Schmuckstück ein wenig weiten müssen, um es danach an seinen Mittelfinger stecken zu können. Und das konnte er, der in seiner Jugend so manche Schmiedearbeit verrichtet hatte, auch ohne Hilfe eines Goldschmiedes zuwege bringen.
    Aus einer Werkstatt lieh er sich einen Eisenstab, der sich nach unten hin verbreitete. Er maß seinen Fingerumfang, markierte die Stelle, an der dieser Stab die gleiche Dicke aufwies, und ließ den Ring darübergleiten. Mit einer Eisenzange ergriff er den Stab und hielt ihn ins Feuer. Er war darauf vorbereitet, dass es eine Weile dauern würde, ehe sich das Gold formen ließ. Umso erstaunter war er, als er bereits nach wenigen Augenblicken eine Bewegung zu sehen vermeinte. Er nahm den Stab aus dem Feuer – und hätte ihn beinahe fallen lassen. Um den Eisenstab ringelte sich eine winzige goldene Schlange. Ihr funkelnder Blick schien sich in Ebbos Augen einzubrennen. Sie ließ eine lange Zunge herausschnellen und

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