Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Welfenkaiserin

Titel: Die Welfenkaiserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
meine Tätlichkeiten. Sie schüttelte sich, hob den vollen Eimer mit einem Ruck aus dem Brunnen und stellte ihn auf dem Rand ab. In Irmingards Vater sah sie den Inbegriff des Bösen, und zum ersten Mal keimte Mitgefühl für Lothars Frau in ihr auf. Welch fürchterliche Vorstellung, mit einem Vater aufgewachsen zu sein, dem sein Kind ausschließlich als Hebel zur Macht diente. Sie erschrak, als ihr Blick in den Eimer fiel, wo das Wasser inzwischen zur Ruhe gekommen war, denn sie vermeinte, auf der Oberfläche plötzlich das Gesicht ihres Sohnes zu erkennen. Karl, dachte sie, während sie rasch den Eimer vom Brunnenrand wuchtete, benutze ich dich auch? Dienen nicht alle meine Pläne ebenfalls dazu, dir Macht zu sichern? Für mich? Damit ich dereinst nicht ins Elend falle? Aber nein, das ist etwas ganz anderes. Du hast Rechte, und ich werde dafür sorgen, dass man dich um sie nicht betrügt. Ich werde dir dein Erbteil wiederbeschaffen.
    Für das Reich und alle Edlen galten Karl und sie als beseitigt; ihr Einfluss war mit dem Klostereintritt vernichtet worden. Außer ihr wussten nur Ludwig und Ruadbern, dass sie sich mit diesem Los nicht abgefunden hatte. Vor ihnen lag ein langer steiniger Weg. Ein geheimer Weg. Hier im Kloster kam sie zu Kräften, konnte sich sammeln und die Zukunft vorbereiten. Eine Zukunft, die vor allem auf Karl zugeschnitten war. Der sie mitgestalten sollte, weil er ein Recht darauf hatte.
    »Ich komme heute zum letzten Mal«, sagte Ruadbern zu Judith Ende September. Als Mönch Niemand wirkte er sehr glaubhaft. Diesmal musste er ihr keine Pergamentstückchen heimlich zustecken, sondern konnte offen mit ihr reden. Die Äbtissin hatte die beiden allein gelassen, da ihr plötzlich eingefallen war, dass sie für den Grafen von Tours noch eine dringende Angelegenheit in der Käserei zu erledigen hatte.
    »Alles ist vorbereitet«, erklärte Ruadbern. »In seinem Übermut ist Lothar völlig ahnungslos. Ludo hat uns seine Hilfe zugesagt, und auch Pippin ist einverstanden. Er steckt immer noch voller Groll, dass Lothar ihn derart benutzt hat, und fühlt sich hintergangen. Zumal Lothar keinen Zweifel daran lässt, dass er als Kaiser auch über die Königreiche seiner Brüder mitzubestimmen hat. Es ist weder in Pippins noch in Ludos Sinn, dass ihr ältester Bruder die Alleinherrschaft ausübt. Kaiser Ludwig ist also deinem Rat gefolgt und hat Pippin und Ludo eine beachtliche Vergrößerung ihrer Reichsteile in Aussicht gestellt. Natürlich auf Lothars Kosten.« Versonnen blickte er die einstige Kaiserin an.
    »Du bist schöner denn je, Judi«, sagte er. »Das Leben hier bekommt dir.«
    »Da magst du recht haben«, erwiderte sie lachend und setzte unvorsichtigerweise hinzu: »Aber du liebst mich ja in jeder Verfassung.«
    »Stimmt.«
    Kopfschüttelnd musterte Judith ihn. »Mein getreuer Ruadbern«, sagte sie. »Die Mönchskutte steht dir vorzüglich. Aber du bist kein Mönch. Es muss doch ein Mädchen geben, das dir den Kopf verdreht, eines, das du glücklich zu machen wünschst!«
    »Stimmt«, wiederholte er freundlich. Um seine Mundwinkel zuckte es. Er streckte seine langgliedrigen Gelehrtenhände über den Tisch aus und streichelte Judiths vom Waschwerk rot und rau gewordenen Fingerspitzen.
    Judith zog die Hände weg. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass Ruadbern mit gleichaltrigen Frauen zusammenkam! Er war jetzt ein Mann und sollte lieber die weichen weißen Hände eines frischen jungen Mädchens liebkosen; seinen wohlgeformten vollen Lippen auch eine andere Tätigkeit gönnen als nur Worte zu entlassen. Erstaunt stellte sie fest, dass sie bei diesem Gedanken ein der Eifersucht nicht unähnliches Gefühl durchzuckte. Ich habe mich eben daran gewöhnt, dass dieses Kind – dieses Kind! – mir ergeben ist, dachte sie unwillig. Er glaubt, mich zu lieben, aber vermutlich sieht er in mir die Mutter, die ihm so früh genommen wurde. Diese Überlegung löste in ihr Unbehagen aus und dieses Unbehagen Verärgerung.
    »Kannst du dich eigentlich noch an deine richtige Mutter, an meine Freundin Hruodhaid, erinnern?«, fragte sie mit etwas zu scharfer Stimme. Aber nachdrücklicher konnte sie ihm wohl kaum mitteilen, zu welcher Generation er sich gefälligst zugehörig zu fühlen hatte.
    »Sie hatte flammend rotes Haar und steckte sich Kieselsteine in den Mund, um ihrem Stottern abzuhelfen«, antwortete er. »Sie war großer Liebe fähig und musste dies nicht durch eine Heirat bestätigt sehen. Darin bin ich ihr

Weitere Kostenlose Bücher