Die Welfenkaiserin
wohl sehr ähnlich.«
»Sie durfte nicht heiraten!«, fuhr Judith ihn an.
»Auch mir verbietet sich dieser Gedanke«, gab er gleichmütig lächelnd hinzu. »Was meiner Liebe keinen Abbruch tut.«
Er wollte sie nicht verstehen und machte sich gleichzeitig über ihr Unbehagen lustig. Also musste sie deutlicher werden.
»Du bist jetzt … was? … zwanzig Jahre alt?«, fragte sie barsch.
»Stimmt.«
»Und ich bin …«, sie dachte angestrengt nach, »… mindestens fünfunddreißig. Eine alte Frau. Ohne Fibeln, Spangen und anderen Schmuck, den man mir stehlen kann. Eine Nonne. Eine verheiratete Frau.«
»Stimmt nicht ganz. Die Nonne wird bald Vergangenheit sein. Und die alte Frau liegt in ferner Zukunft. Du bist für mich eine junge Frau.«
»Gestern habe ich ein weißes Haar auf meinem Kopf entdeckt. Und es werden noch eine Menge mehr hinzukommen, wenn ich mir auch noch Sorgen um dich und deine abwegige Gefühlswelt machen muss.«
»Stimmt nicht. Du brauchst dich um überhaupt nichts zu sorgen«, versicherte er, »am allerwenigsten um meine abwegige Gefühlswelt. Man nennt das auch Liebe. Und diese findet ihre Erfüllung in sich selbst. Dazu muss sie nicht erwidert werden. Und schon gar nicht in eine Tat umgesetzt, die, wie wir es bereits erlebt haben …«, er schenkte ihr einen vorwurfsvollen Blick, »… Beteiligten und Unbeteiligten nur Leid brächte. Also ist alles in bester Ordnung.« Er räusperte sich und brachte das Gespräch wieder auf das unverfänglichere Thema des geheimen Plans: »Ludwig hat Lothar davon überzeugt, den Reichstag im Oktober nach Nimwegen zu verlegen, also zwischen den östlichen und westlichen Reichsteil.«
Froh, dass er sie mit keinen weiteren Offenbarungen in Verlegenheit brachte, strahlte Judith Ruadbern an. Mit einem Reichstag in Nimwegen war der kniffligste Teil ihres Plans gelöst. Natürlich wäre es Lothar lieber, wenn Ludwig im gallischen Reichsteil seine Abdankungsrede halten würde. Die dort ansässigen Abgeordneten würde er besser beeinflussen können als die deutschen Franken, die möglicherweise versuchen könnten, Ludwig vom Rücktritt abzuhalten.
»Wie hat Ludwig das denn bewerkstelligt, ohne dass Lothar den Braten roch?«, fragte sie, hocherfreut, dass ihr Mann wirklich wieder das Zepter in die Hand genommen hatte.
»Mit einer recht einleuchtenden Erklärung«, antwortete Ruadbern. »Dass nämlich die Deutschen bei einem Reichstag in Gallien denken könnten, die dortigen Franken setzten den Kaiser unter Druck und hätten ihn mit Gewalt ins Kloster gebracht.«
»Was der Wahrheit entspricht!«
»Die Lothar natürlich auf keinen Fall öffentlich machen möchte«, sagte Ruadbern und setzte hinzu: »Ludwig hat gerade ein paar seiner Feinde an die britische Grenze geschickt, in die Spanische Mark und in andere Fernen. Auch Lothar hielt es für notwendig, die unruhigen Grenzen zu stärken. Und dies wollte er durch seine Mannen getan wissen.« Ruadbern lächelte fein. »Jedenfalls werden sie nicht in der Lage sein, am Reichstag teilzunehmen.«
»Im Gegensatz zu den Sachsen«, setzte Judith hinzu. »Und die gehen für Ludwig durchs Feuer!«
»Wollen wir hoffen, dass es nicht so weit kommt.«
Beim Abschied hielt er ihre Hände sehr lange fest.
»Ich komme wieder, um dich nach Aachen zurückzuführen, wenn alles vorbei ist«, sagte er leise. »Und ich werde Karl mitbringen.« Sie beugte sich unwillkürlich vor und küsste ihn auf die Wange. Ein mütterlicher Kuss, sagte sie sich und tat mit fürsorglichem Schulterklopfen das Leuchten in Ruadberns Augen ab.
In den folgenden Wochen saß Judith wie auf Kohlen. Sie konnte sich auf nichts mehr wirklich konzentrieren, schüttete sich kochendes Wasser über die Hand, schnitt sich beim Gemüseputzen, stolperte über Möbelstücke, vergaß Unterrichtsstunden und gab auf Fragen unzusammenhängende Antworten. Äbtissin Philomena ahnte, dass sie auf irgendeine Nachricht wartete, und zog Erkundigungen über die Lage im Reich ein. Schließlich ließ sie Judith zu sich rufen.
»Was wird auf der Reichsversammlung in Nimwegen geschehen?«, fragte sie ohne Vorrede.
Judith blickte entsetzt auf. Wenn schon eine weltfremde Nonne Verdacht schöpfte, dann konnte ihr Plan nur zum Scheitern verurteilt sein.
»Was sagt man denn?«, fragte sie stotternd zurück.
Der Äbtissin war ihre Bestürzung nicht entgangen. »Es ist weniger, was man draußen sagt, als was ich hier drinnen sehe, mein Kind«, antwortete sie gütig. »Ich
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