Die Welle
bereiten wird, wenn du es nicht tust, Ben«, erklärte sie. »Und wenn er eingreifen muss, dann wird dein Experiment auf jeden Fall zu einem Fehlschlag. Ich habe den ganzen Abend über das nachgedacht, was du bewirken willst, und ich glaube, ich fange an zu begreifen. Aber hast du jemals daran gedacht, als du damit angefangen hast, was sich ereignen könnte, wenn dein Experiment nicht funktioniert? Ist es dir jemals in den Sinn gekommen, dass du deinen Ruf als Lehrer aufs Spiel setzt? Wenn das schief geht, glaubst du, dass die Eltern ihre Kinder dann noch einmal in deine Klasse lassen?« »Übertreibst du jetzt nicht?«
»Nein«, versicherte Christy. »Ist es dir nie eingefallen, dass du nicht nur dich in Gefahr bringst, sondern auch mich? Manche glauben doch, dass ich auch in diese Wellen-Idiotie verwickelt sein muss, bloß weil ich deine Frau bin. Kommt dir das fair vor, Ben? Es tut mir Leid, dass du nach zwei Jahren Arbeit an der Gordon High School in Gefahr bist, deinen Job zu verlieren. Du wirst morgen mit alledem aufhören, Ben! Du gehst morgen früh zum Direktor und sagst ihm, dass alles vorbei ist.«
» Christy, wie kannst du mir sagen, was ich tun muss?« fragte Ben. »Wie kann ich denn an einem beliebigen Tag einfach aufhören und trotzdem den Schülern Gerechtigkeit widerfahren lassen?«
»Du musst dir eben etwas ausdenken«, beharrte Christy. » Du musst einfach!«
Ben rieb sich die Stirn und dachte an das Treffen mit DirektorOwens am nächsten Morgen. Owens war ein guter Mann und für neue Methoden und Ideen durchaus offen. Aber jetzt wurde ein erheblicher Druck auf ihn ausgeübt. Einerseits wandten sich Eltern und Lehrer gegen die Welle, und wenn dieser Druck noch weiter wuchs, dann musste der Direktor einschreiten und das Experiment verbieten. Auf der anderen Seite stand nur Ben Ross, der ihn bitten konnte, sich nicht einzumischen, und der versuchen konnte, ihm zu erklären, dass es eine Katastrophe für die Schüler wäre, wenn das Experiment einfach nur abgebrochen würde.
Die Welle ohne Erklärung zu beenden, das wäre so, als wollte man nur die erste Hälfte eines Romans lesen und die Lektüre nicht beenden. Aber Christy hatte Recht. Ben wusste, dass ein Ende unvermeidlich war. Wichtig war nicht, wann es aufhörte, sondern wie. Die Schüler mussten das Experiment selbst abbrechen und den Grund dafür verstehen. Sonst war alles unnütz vertan, was man in dieses Experiment eingebracht hatte.
»Christy«, sagte Ben, »ich weiß, dass es aufhören muss, aber ich weiß noch nicht wie.«
Seine Frau seufzte müde. »Willst du das etwa morgen dem Direktor erzählen? Ben, du bist doch der Führer der Welle. Du bist doch der, dem sie blindlings folgen!«
Ben mochte Christys Spott nicht und auch nicht den Klang ihrer Stimme bei diesen Worten. Aber er wusste, dass sie Recht hatte.
Die Schüler der Welle hatten ihn weit mehr zu ihrem Führer gemacht, als er es selber sein wollte. Aber er hatte sich dagegenauch nicht gewehrt. Er musste sogar zugeben, dass er die Augenblicke der Macht genossen hatte, ehe alles aus den Fugen zu geraten begann: ein ganzer Raum voller Schüler, die allen seinen Befehlen sofort und widerspruchslos gehorchten, das Symbol der Welle, das er geschaffen hatte, über die ganze Schule verteilt; sogar einen Leibwächter hatte er.
Er hatte gelesen, Macht könne verführen. Jetzt hatte er es selbst erfahren. Ben fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Nicht nur die Mitglieder der Welle mussten durch dieses Experiment etwas über Macht erfahren. Ihr Lehrer lernte ebenfalls daraus.
»Ben?«, fragte Christy.
»Ja, ja, ich weiß. Ich denke nach«, antwortete er. Wenn er nun irgendetwas Abruptes und Endgültiges tat – würden sie ihm dann noch immer folgen? Und plötzlich war Ben klar, was er tun musste. »Gut, Christy, ich habe eine Idee!«
Sie sah ihn skeptisch an. »Eine, die auch bestimmt funktionieren wird?«
Ben schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich hoffe es«, sagte er. Christy nickte und schaute auf die Uhr. Es war spät und sie war müde. Sie beugte sich zu ihrem Mann und küsste ihn. Seine Stirn war schweißfeucht. »Kommst du zu Bett?«
»Bald.«
Nachdem Christy ins Schlafzimmer gegangen war, beschäftigte Ben sich mit seinem Plan, der in seinen Gedanken immer deutlichere Form annahm. Der Plan schien sicher zu sein. Ben stand auf und wollte ins Schlafzimmer gehen. Er begann, die Lampen zu löschen, als es plötzlich an der Türläutete. Ben rieb sich vor Müdigkeit die
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