Die Welle
Direktor.«
»Ich weiß, ich weiß. Und das liegt nur daran, dass sie eben keine Ahnung haben, was ich beweisen will«, antwortete Ben.
»Meinst du das ernst?«, fragte seine Frau. »Ist dir nicht klar, dass Mitglieder des Schulrats angefangen haben, Schüler deines Geschichtskurses zu befragen? Bist du denn sicher, dass du noch weißt, was du tust? Das glaubt nämlich in der ganzen Schule kaum noch jemand.«
»Meinst du, ich wüsste das nicht?«, erwiderte Ben. »Ich weiß, was sie über mich erzählen: dass ich verrückt und machtbesessen bin.«
»Und? Könnten sie nicht vielleicht Recht haben?«, fragte Christy. »Ich meine, denk doch einmal an deine ursprünglichen Ziele. Sind das noch dieselben, die du heute hast?« Ben fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Er hatte wahrhaftig schon genug Probleme mit der Welle. »Ich dachte, du stündest auf meiner Seite, Christy.« Aber insgeheim wusste er, dass sie Recht hatte.
»Ich stehe auf deiner Seite, Ben«, versicherte seine Frau. »Aber in diesen letzten Tagen hatte ich manchmal das Gefühl, dich gar nicht mehr zu kennen: Du hast dich so sehr in deine Rolle in der Schule hineingelebt, dass du sie auch zu Hause nicht mehr ablegst. Ich habe schon früher erlebt, dass du dich leicht von einer Sache mitreißen lässt. Aber in diesem Fall musst du das abstellen!«
»Ich weiß. Für dich muss es aussehen, als wäre ich zu weit gegangen. Aber ich kann jetzt nicht aufhören. Noch nicht.« »Wann denn sonst?«, fragte Christy verärgert. »Erst wenn einige dieser Kinder etwas angestellt haben, was dann alle bedauern werden?«
»Meinst du, das wäre mir nicht klar? Glaubst du, das bereitet mir keine Sorgen? Aber ich habe dieses Experiment angefangen,und sie haben mitgemacht. Und wenn ich jetzt plötzlich damit aufhöre, dann hängen sie alle in der Luft. Sie wären verwirrt, und sie hätten nichts dabei gelernt.« »Dann sollen sie doch verwirrt sein!«
Plötzlich sprang Ben auf und rief zornig: »Nein, das tue ich nicht, und das kann ich nicht tun. Ich bin ihr Lehrer. Ich bin dafür verantwortlich, dass sie in diese Sache hineingeraten sind. Sicher ist mir dieser Versuch etwas außer Kontrolle geraten, aber sie sind jetzt zu weit, als dass man einfach alles abblasen könnte. Ich muss sie so weit treiben, dass sie von selbst begreifen. Vielleicht lernen sie so die wichtigste Lektion ihres Lebens.«
Christy war nicht beeindruckt. »Ich hoffe nur, dass Direktor Owens damit einverstanden ist, Ben. Er kam heute zu mir, als ich gerade gehen wollte, und sagte, er hätte den ganzen Tag nach dir gesucht. Er möchte dich gleich morgen früh sprechen.«
Die Redaktion der Schülerzeitung blieb nach Schulschluss noch lange beisammen, um ihren Sieg zu feiern. Die Sonderausgabe über die Welle war so erfolgreich, dass es fast unmöglich war, noch irgendwo ein Exemplar aufzutreiben. Aber nicht nur das, sondern Lehrer und Mitglieder der Verwaltung und sogar manche Schüler hatten sich den ganzen Tag über bei ihnen bedankt, dass sie auch einmal »die andere Seite der Welle« dargestellt hätten. Schon hörte man hier und da, manche Schüler zögen sich von der Welle zurück.
Der Redaktion war klar, dass eine einzige Ausgabe der Zeitung nicht ausreichen konnte, um eine Bewegung aufzuhalten, die in der vergangenen Woche einen solchen Schwung gewonnen hatte. Aber wenigstens hatten sie der Welle einen ernsthaften Schlag versetzt. Carl sagte, seiner Meinung nach würde es keine Drohungen mehr gegen Nichtmitglieder geben, und man würde auch niemanden mehr zusammenschlagen.
Wie gewöhnlich verließ Laurie die Redaktion als Letzte. Es war seltsam: Die Mitglieder der Redaktion waren ein Gewinn für jede Party. Aber wenn es ans Aufräumen ging, dann verschwanden sie alle. Diese Tatsache hatte Laurie schon zu Beginn des Schuljahres als einen heftigen Schock erlebt, als ihr klar wurde, dass das Amt der Chefredakteurin hauptsächlich darin bestand, jede Art von unangenehmer Arbeit zu erledigen, von der die anderen nichts wissen wollten. Heute bedeutete es, dass sie aufräumen musste, nachdem die anderen schon heimgegangen waren.
Als sie endlich fertig war, bemerkte Laurie, dass es draußen schon dunkel war. Sie musste in dem riesigen Schulgebäude praktisch allein sein. Als sie die Tür zum Redaktionsbüro schloss und das Licht ausschaltete, stellte sich die Nervosität wieder ein, die sie schon die ganze Woche über empfunden hatte. Die Welle litt sicher unter den Wunden, die ihr die
Weitere Kostenlose Bücher