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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Männer an die Kanonen schickte, »aber vielleicht werden wir alle von dieser Sache noch mehr haben, als es jetzt den Anschein hat.« Captain Bannon sagte oft solche Dinge, deshalb wunderte sich niemand. Seine Mannschaft vertraute ihm - vor allem Jolly, für die Bannon so etwas wie Vater und Mutter zugleich war, seit er sie als kleines Kind auf dem Sklavenmarkt von Tortuga gekauft und zum Mitglied seiner Crew gemacht hatte.
    Kanonendonner, lauter als zuvor, ließ Jolly einen Satz zur Seite machen. Sie spürte den Sog der schweren Eisenkugel und glaubte sie, kaum eine Armlänge entfernt, an sich vorüberpfeifen zu sehen. Als sie sich umschaute, bestätigten sich ihre schlimmsten Befürchtungen.
    Die Magere Maddy war getroffen.
    Eine Wolke aus Wasser und Holzsplittern stieg vom Heck der schnittigen Schebecke auf, einem Schiffstyp, den man in dieser Gegend nicht oft sah. Die Reling der Maddy bestand nicht aus Schmuckpfeilern wie die der Galeone, sondern aus einer hüfthohen, schlichten Holzwand, in die man Öffnungen für die Geschützrohre eingelassen hatte. Das Schiff war blutrot angestrichen, und im vorderen Teil hatte Bannon weiße Fangzähne auf den roten Rand malen lassen, sodass der Bug den Eindruck eines offenen Raubtiermauls erweckte.
    Aufgebrachtes Gebrüll schallte zu Jolly herüber, Stimmfetzen, die durch die grauen Qualmwände zwischen den Schiffen herüberwehten.
    Jolly wandte sich halb um und zögerte. Von hier aus ließ sich nicht erkennen, ob die Maddy ernsthafte Schäden erlitten hatte. Bitte lass ihr nichts passiert sein!, flehte Jolly in Gedanken.
    Dann aber erinnerte sie sich an Bannons Befehl, an ihre Verpflichtung ihm und den anderen gegenüber, und sie wandte sich wieder nach vorn. Mit wenigen Schritten erreichte sie den Rumpf der spanischen Galeone und lief daran entlang, bis sie unter einer der hinteren Geschützpforten stehen blieb. Das untere Kanonendeck befand sich drei Meter über der Wasseroberfläche. Jolly war nicht einmal fünf Fuß groß, aber es würde ihr keine Mühe bereiten, eines der Wurfgeschosse aus ihrer Umhängetasche durch die Öffnung zu befördern.
    Sie schlug die Klappe ihrer Ledertasche zurück und zog eine der Flaschen heraus, die bei jedem Schritt gefährlich gegeneinander klirrten. Sie waren mit einer bronzefarbenen Flüssigkeit gefüllt, die Hälse mit Wachs versiegelt.
    Jolly holte aus, atmete tief durch - und schleuderte die Flasche durch die erste Geschützluke, knapp vorbei an der Mündung des Kanonenrohrs. Jemand stieß einen Alarmruf aus, laut genug, dass sie ihn hier draußen hören konnte. Dann schoss eine grüne Rauchwolke aus der Luke, so dicht und stinkend, dass Jolly rasch zur nächsten Öffnung lief. Dort zog sie eine zweite Flasche hervor und warf. So arbeitete sie sich von Öffnung zu Öffnung, bis aus den meisten Luken grüner Dunst wölkte. Keine der unteren Kanonen feuerte mehr. Die Kanoniere hinter den Geschützen mussten blind sein vor Rauch, und aus Erfahrung wusste Jolly, dass der Gestank selbst dem abgebrühtesten Seemann auf den Magen schlug.
    Zur Abwechslung versuchte sie, die nächste Flasche auf das höher gelegene zweite Kanonendeck zu werfen. Auch hier traf sie zielsicher in eine der Luken. Wenn es so weiterging, würde ihre Mission zu einem vollen Erfolg werden. Mit etwas Glück würde sie die Mannschaft der Galeone im Alleingang außer Gefecht setzen. Bannon und seine Piraten mussten das Schiff nur noch entern und ihre hustenden und halb blinden Gegner an Deck in Empfang nehmen. Ernsthaften Widerstand hatten sie nicht mehr zu erwarten.
    Doch Jollys nächstem Wurf zum oberen Kanonendeck war weniger Erfolg beschieden. Die Flasche flog gerade in jenem Moment durch die Luke, als die Männer im Inneren die Kanone nach außen schoben, um die nächste Kugel abzufeuern. Das Glas zerschellte am Stahl des Kanonenrohrs, die Flüssigkeit spritzte gegen den Schiffsrumpf und verdampfte augenblicklich zu ätzendem Dampf. Jolly hechtete vorwärts und warf sich flach auf die Wasseroberfläche, um dem Dunst zu entgehen. Zugleich wurde über ihr die Kanone gezündet. Einen Herzschlag später ertönte aus der Richtung des Piratenschiffs ein weiterer Einschlag. Holz zerbarst, gefolgt von einer Explosion - die Kugel war durch den Rumpf der Mageren Maddy gedrungen und hatte das Munitionslager getroffen.
    Jolly schossen Tränen in die Augen, als sie sah, wie Flammen aus der klaffenden Öffnung loderten. Sie wusste, was ein solcher Treffer bedeutete - sie hatte

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