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Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer

Titel: Die Wellenläufer 01 - Die Wellenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gerüchte um von schiffbrüchigen Mannschaften, die innerhalb weniger Minuten von einer Hand voll Klabauter zerrissen und aufgefressen worden waren.
    Jolly hatte das Gefühl, ihren Körper nicht mehr zu spüren. Nicht genug, dass sie den Captain und all ihre Freunde verloren hatte, dass sie von einem Schiffswrack in die Tiefe gerissen wurde und ihre Kräfte allmählich schwanden - nein, es musste natürlich auch noch eine dieser Bestien auftauchen.
    Erneut begann sie zu klettern, vorsichtiger diesmal. Erst an dem Gitter hinauf, dann zu einem Strick hinüber und von dort aus - endlich! - zurück zur Reling. Das Schnappen der Klabauterkiefer in ihrem Rücken übertönte sogar das gequälte Knirschen des Wracks und das Brausen der See. Die Bestie lauerte dort unten, fletschte die Zähne und konnte es gar nicht erwarten, dass Jolly endlich den Halt verlor.
    Klabauter fürchten sich, das Wasser zu verlassen. Nur die Mutigsten unter ihnen strecken manchmal Kopf oder Klauen ins Freie; die meisten aber ziehen es vor, sich ihre Nahrung unter der Oberfläche zu suchen. Dass dieser dort unten mit den Armen nach Jolly tastete - auch wenn er sie nicht erreichen konnte -, war ungewöhnlich. Dass er einmal sogar den Oberkörper aus den tobenden Strudeln reckte, war eine Sensation.
    Jolly kletterte weiter und gelangte zur Galionsfigur. Bannon hatte ihr den Mechanismus erklärt, mehr als einmal, in stillen Nächten, wenn nur sie und er an Bord noch wach waren. Damals hatte er sie in das bestgehütete Geheimnis der Maddy eingeweiht.
    Die Galionsfigur mit ihrem grimmigen Tritonengesicht war hohl und bot Platz für einen erwachsenen Menschen. In wasserdichten Fächern in ihrem Inneren lagerten Vorräte für mehrere Tage. Mit Hilfe zweier Bolzen ließ sie sich vom Rumpf des Schiffes lösen und wurde für ihren Insassen zu einem perfekten Rettungsboot. Versteckte Gewichte sorgten dafür, dass sie sich stets mit dem Gesicht nach oben drehte; dort konnte man eine Luke öffnen, um Frischluft einzulassen.
    Der Klabauter stieß einen grauenvollen Schrei aus, als einer der Masten brach und mit ganzem Gewicht auf ihn herabstürzte. Aus den Augenwinkeln sah Jolly, wie der Mast quer in den offenen Schlund des Ungeheuers krachte und es im selben Herzschlag in die Tiefe rammte.
    Sie schnaubte grimmig, aber sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zu freuen. Mit letzter Willensanstrengung öffnete sie die verborgene Klappe am Rücken der Galionsfigur, hangelte sich mühsam hinein und zog den Einstieg hinter sich zu. Lederpolster dichteten die Ritzen ab. Im Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich, als hätte man sie lebendig in einen Sarg gepfercht. Panik schnürte ihr die Luft ab. Lieber wollte sie mit der Maddy untergehen, als sich dieser Enge auszusetzen. Dann aber gewann ihre Vernunft die Oberhand.
    Das Wrack stellte sich steiler und steiler, jeden Augenblick konnte der endgültige Sturz zum Meeresgrund beginnen.
    Jolly zog die beiden Bolzen aus ihren Vorrichtungen. Sie glitten mühelos heraus, als hätte Bannon sie erst kürzlich gefettet. Ein berstender Laut ertönte, und einen Moment lang glaubte Jolly, die Maddy bräche auseinander. Aber, nein - die Galionsfigur hatte sich vom Rumpf gelöst. Den freien Fall in die Tiefe bemerkte sie gar nicht, erst den Aufprall, der wie hundert Hammerschläge auf die hölzerne Außenhaut der Figur einschlug. Jollys Ohren dröhnten, sie war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Dann wurde die Galionsfigur von den Wellen erfasst. Ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönte aus der Tiefe, vielleicht der sterbende Klabauter, oder aber die sinkende Maddy. Jolly konnte nur hoffen, dass sie bereits weit genug vom Wrack entfernt war und der Sog des sinkenden Schiffes sie nicht mit in die Tiefe riss.
    Es war stockdunkel im Inneren der Figur, die Luft roch muffig. Jolly wagte noch nicht, die Klappe zu öffnen, aus Angst, das Wasser der aufgewühlten See könne eindringen und den Hohlraum fluten.
    Ein dumpfer Schlag ertönte, als von unten etwas gegen die Figur stieß. Haie! Sie hielten den treibenden Umriss für eine besonders fette Beute. Jolly war nicht sicher, ob das Holz dem Tonnendruck der Zähne standhalten würde, falls wirklich einer von ihnen hineinbiss.
    Etwas strich in der Finsternis über ihr Gesicht.
    Sie schrie auf. Im ersten Moment hielt sie es für Finger. Aber das war Unfug. Zwischen ihrer Nasenspitze und der Holzwand des Hohlraums lag ein Abstand von nicht einmal einem Fuß. Sie war allein,

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