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Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier

Titel: Die Wellenläufer 02 - Die Muschelmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Walker albern aussah.
    Soledad, die Tochter des ermordeten Piratenkaisers Scarab, ritt in der Formation der Seepferdreiter vor Walker. Wie der Captain war sie durch zusätzliche Gurte im Sattel gesichert; schließlich hatten beide keine Übung im Umgang mit den wundersamen Tieren. Allerdings fiel Jolly auf, dass Soledad sich geschickter anstellte als Walker. Im Gegensatz zu ihm hatte sie an Land Erfahrung mit Pferden gesammelt. Ihr langes, rabenschwarzes Haar flatterte offen im Wind, und manchmal warf sie Jolly aufmunternde Blicke zu oder ein aufheiterndes Lächeln.
    Jolly dachte in diesen langen Stunden oft an das Ziel ihrer Reise: an Aelenium. Sie hatte keine konkrete Vorstellung davon, doch sie wusste, dass es sich um eine Art schwimmende Stadt handelte, die an einer langen Kette irgendwo im Atlantik, nordöstlich der Jungferninseln, vor Anker lag. Die Bewohner Aeleniums waren so etwas wie Wächter, die den gefangenen Mahlstrom jahrhundertelang bewacht hatten - ehe er befreit worden und zu neuer, schrecklicher Macht gelangt war.
    Doch noch hatte der Mahlstrom die Stadt gemieden. Jolly hatte keine Ahnung, warum er so lange mit dem Angriff zögerte; sie wusste nur, dass Munk und sie als Einzige in der Lage waren, ihn aufzuhalten.
    An ihrem Überleben hing das Schicksal Aeleniums und, wenn sie dem Geisterhändler Glauben schenkte, letztlich das Fortbestehen der ganzen Welt. Nur wenn der Mahlstrom nicht stark genug werden konnte, um die Grenzen zum Mare Tenebrosum einzureißen, würden sie zu ihrem alten Leben zurückkehren können.
    Sie dachte an den Tag, an dem alles angefangen hatte. Mit einem Schlag hatte sie ihren Ziehvater Captain Bannon verloren und mit ihm die ganze Mannschaft. Jolly war auf Bannons Schiff aufgewachsen. Er war für sie Vater und Mutter zugleich gewesen und noch dazu der beste Lehrmeister, den sie sich vorstellen konnte. Doch dann war er in eine Falle getappt. Nur Jolly hatte entfliehen können. Sie hatte keine Beweise, dass der Mahlstrom dahinter steckte, und sie hatte sich immer geweigert, an den Tod Bannons und der anderen zu glauben. Aber jede Spur, auf die sie seither gestoßen war, jede Hoffnung war im Sand verlaufen. Und obwohl sie es nicht zugeben wollte, hatten die Ereignisse der letzten Tage und Wochen den Schmerz um Bannon immer mehr in den Hintergrund gedrängt.
    Zweimal versank die Sonne in der See, und zweimal ging sie wieder auf, ehe vor ihnen ein dichtes Nebelfeld auftauchte. Jollys Muskeln verkrampften sich, als die Reiter ihre Hippocampen geradewegs in den Dunst lenkten. Eine Weile lang schienen sie durch graues Nichts zu schweben, ehe sie den Nebel endlich durchquert hatten und Aelenium vor sich sahen.
    Jolly stockte der Atem. Etwas Vergleichbares hatte sie noch nie erblickt. Alle Städte, die sie kannte, waren ärmliche Ansiedlungen rund um die Häfen der Karibik: Verbaute, verwinkelte Blocks aus Hütten und baufälligen Häusern, durchmischt mit düsteren Spelunken, Lagerschuppen und den Geschäften der Hehler, Rumhändler und Tätowierer.
    Aelenium dagegen kam ihr vor, als hätte ein Stück Himmel Gestalt angenommen, eine Zuckergusstorte aus verschachtelten Korallenstrukturen, hoch wie ein kleiner Berg, aus dem unzählige Türme und Balkone ragten, spitzgiebelige Dächer, wahnwitzige Brücken und Plattformen. Alles hier schien aus Korallen zu bestehen, weiß oder beige, manchmal auch von schokoladenbraunen oder bernsteinfarbenen Schlieren durchzogen. Die Fenster und Türen waren hoch und schmal, manche Gebäude so fein ziseliert, dass sie Jolly an die chinesischen Porzellankunstwerke erinnerten, von denen Bannon einmal eine ganze Schiffsladung erbeutet hatte.
    Und überhaupt - Gebäude. War denn irgendetwas hier wirklich erbaut worden? Tatsächlich schien es eher, als sei ein Großteil Aeleniums gewachsen wie die Wunder eines Korallenriffs. Die Stadt erhob sich auf einem mächtigen Seestern, dessen Spitzen weit hinaus ins Meer ragten und von den Bewohnern als natürliche Landungsstege genutzt wurden. Die meisten dieser Spitzen, zumindest auf dieser Seite der Stadt, waren mit niedrigen Häusern bedeckt, erst im Zentrum des Seesterns wurden die Häuser größer, um sich dann rund um einen abgeflachten Bergkegel zu Schwindel erregender Höhe aufzuschwingen. Der Berg selbst hatte steile Flanken aus demselben hellen Material wie alles andere hier und war von zahlreichen Wasserströmen durchzogen: einige flossen ruhig durch enge Rinnen, andere stürzten als Wasserfälle über

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