Die Welt als Wille und Vorstellung (German Edition)
nämlich giebt eine bloß theoretische, allgemeine Möglichkeit in abstracto: diese macht an sich aber noch gar nichts möglich, d.h. fähig wirklich zu werden. Dazu gehört noch die Minor, als welche die Möglichkeit für den einzelnen Fall giebt, indem sie ihn unter die Regel bringt. Dieser wird eben dadurch sofort zur Wirklichkeit. Z.B.:
Maj. Alle Häuser (folglich auch mein Haus) können abbrennen.
Min. Mein Haus geräth in Brand.
Konkl. Mein Haus brennt ab.
Denn jeder allgemeine Satz, also jede Major, bestimmt, in Hinsicht auf die Wirklichkeit, die Dinge stets nur unter einer Voraussetzung, mithin hypothetisch: z.B. das Abbrennenkönnen hat zur Voraussetzung das Inbrandgerathen. Diese Voraussetzung wird in der Minor beigebracht. Allemal ladet die Major die Kanone: allein erst wenn die Minor die Lunte hinzubringt, erfolgt der Schuß, die Konklusio. Das gilt durchweg vom Verhältniß der Möglichkeit zur Wirklichkeit. Da nun die Konklusio, welche die Aussage der Wirklichkeit ist, stets nothwendig erfolgt; so geht hieraus hervor, daß Alles, was wirklich ist, auch nothwendig ist; welches auch daraus einzusehn, daß Nothwendigseyn nur heißt, Folge eines gegebenen Grundes seyn: dieser ist beim Wirklichen eine Ursache: also ist alles Wirkliche nothwendig. Demnach sehn wir hier die Begriffe des Möglichen, Wirklichen und Nothwendigen zusammenfallen und nicht bloß den letzteren den ersteren voraussetzen, sondern auch umgekehrt. Was sie auseinanderhält, ist die Beschränkung unsers Intellekts durch die Form der Zeit: denn die Zeit ist das Vermittelnde zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Die Nothwendigkeit der einzelnen Begebenheit läßt sich durch die Erkenntniß ihrer sämmtlichen Ursachen vollkommen einsehn; aber das Zusammentreffen dieser sämmtlichen, verschiedenen und von einander unabhängigen Ursachen erscheint für uns als zufällig , ja die Unabhängigkeit derselben von einander ist eben der Begriff der Zufälligkeit. Da aber doch jede von ihnen die nothwendige Folge ihrer Ursache war, deren Kette anfangslos ist; so zeigt sich, daß die Zufälligkeit eine bloß subjektive Erscheinung ist, entstehend aus der Begränzung des Horizonts unsers Verstandes, und so subjektiv, wie der optische Horizont, in welchem der Himmel die Erde berührt. –
Da Nothwendigkeit einerlei ist mit Folge aus gegebenem Grunde, so muß sie auch bei jeder Gestaltung des Satzes vom Grunde als eine besondere erscheinen und auch ihren Gegensatz haben an der Möglichkeit und Unmöglichkeit, welcher immer erst durch Anwendung der abstrakten Betrachtung der Vernunft auf den Gegenstand entsteht. Daher stehn den oben erwähnten vier Arten von Nothwendigkeiten eben so viele Arten von Unmöglichkeiten gegenüber: also physische, logische, mathematische, praktische. Dazu mag noch bemerkt werden, daß wenn man ganz innerhalb des Gebietes abstrakter Begriffe sich hält, die Möglichkeit immer dem allgemeinem, die Nothwendigkeit dem engem Begriff anhängt: z. B, »ein Thier kann seyn ein Vogel, Fisch, Amphibie u.s.w.« – »eine Nachtigall muß seyn ein Vogel, dieser ein Thier, dieses ein Organismus, dieser ein Körper«. – Eigentlich weil die logische Nothwendigkeit, deren Ausdruck der Syllogismus ist, vom Allgemeinen auf das Besondere geht und nie umgekehrt. – Dagegen ist in der anschaulichen Natur (den Vorstellungen der ersten Klasse) eigentlich alles nothwendig, durch das Gesetz der Kausalität: bloß die hinzutretende Reflexion kann es zugleich als zufällig auffassen, es vergleichend mit dem was nicht dessen Ursache ist, und auch als bloß und rein wirklich, durch Absehn von aller Kausalverknüpfung: nur bei dieser Klasse von Vorstellungen hat eigentlich der Begriff des Wirklichen Statt, wie auch schon die Abstammung des Worts vom Kausalitätsbegriffe anzeigt. – In der dritten Klasse der Vorstellungen, der reinen mathematischen Anschauung, ist, wenn man ganz innerhalb derselben sich hält, lauter Nothwendigkeit: Möglichkeit entsteht auch hier bloß durch Beziehung auf die Begriffe der Reflexion: z.B. »ein Dreieck kann seyn recht-, stumpf-, gleichwinklicht; muß seyn mit drei Winkeln, die zwei rechte betragen«. Also zum Möglichen kommt man hier nur durch Uebergang vom Anschaulichen zum Abstrakten.
Nach dieser Darstellung, welche die Erinnerung, sowohl an das in der Abhandlung über den Satz vom Grunde, als im ersten Buch gegenwärtiger Schrift Gesagte voraussetzt, wird hoffentlich über den wahren und sehr
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